SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

„Ich kann es kaum ertragen, wenn er den Raum verlässt.“ meinte Katie Holmes nach ihrer Verlobung mit Tom Cruise. Ich fand die Angelegenheit damals atemberaubend – allerdings in dem Sinn, dass es mir die Luft zum Atmen nehmen würde, wenn ich mit einem Menschen jede Sekunde meines Lebens teilen müsste. Irgendwann wurde es Katie Holmes offenbar auch zu viel mit der ununterbrochenen Gemeinsamkeit, die Ehe ist zerbrochen und heute atmet sie ständig ohne ihn.

Jeder Mensch braucht auch einmal Zeit für sich ganz allein. Das gilt sogar für die liebevollste Verbindung zwischen zwei Menschen Deshalb kann ich Menschen verstehen, die die Vorstellung beängstigend finden, dass Gott in jeder Sekunde ihres Lebens bei ihnen ist. Diesen Menschen erscheint ein allgegenwärtiger Gott nicht tröstlich, sondern bedrohlich, Gott ist dann jemand, der ihnen die Luft zum freien Atmen nimmt. „Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten“ heißt es in Psalm 139. Das klingt sowohl tröstlich als auch unentrinnbar. „Wohin soll ich fliehen vor dir?“ fragt darum der Psalmbeter. Für eine Beziehung von Mensch zu Mensch wäre es regelrecht unerträglich. Eigentlich funktioniert so eine ständige Präsenz nur zwischen Mensch und Gott, und auch dann nur, wenn man sich vorstellt, dass die göttliche Gegenwart wie ein liebevoller Blick ist. Oder wie ein inspirierender Atemzug.

Eine Ärztin hat mir einmal erklärt, dass es meinen Lungenflügeln gut tut, wenn ich sie mindestens einmal am Tag, am besten am frühen Morgen, bis tief in die Spitzen mit Luft erfülle. Das würde den Lungenbläschen gut tun und verhindern, dass diese aneinander kleben. Also atme ich morgens tief ein und entfalte meine Lungenflügel. Es tut tatsächlich gut und erfrischt Körper und Sinne. Seit einiger Zeit kombiniere ich es mit einer geistlichen Übung. Wenn mich Gott umgibt wie die Luft zum Atmen, dann kann ich das auch leiblich umsetzen. Und so stelle ich mir vor, dass ich mich morgens mit seinem Heiligen Geist erfülle. Wenn ich tief einatme erfrische ich mit meinem Atem auch meine Seele. Der biblische Begriff für Atem ist übrigens eng verwandt mit dem für Weite und wird gebraucht, wenn jemand aufatmet und erleichtert ist. Das kann ich leiblich erfahren. Es ist eine einfache und zugleich schöne Vorstellung, dass Gott mich erfüllt wie die Luft zum Atmen. An jedem Morgen und an jedem neuen Tag.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21942
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