SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Wenn ich in eine katholische Kirche komme, ist es eine Art Sport für mich, herauszufinden, vor welchem Heiligenbild die meisten Kerzen brennen. Meine Erfahrung: In der Regel brennen die meisten Kerzen vor einer Mariendarstellung.  Maria, die Mutter Jesu, die Mutter Gottes, sie ist die beliebteste Heilige – mit Abstand. Nun ist Marienfrömmigkeit nicht jedermanns Sache und ich gebe zu, auch ich tue mich schwer damit. Aber häufig entdecke ich mich dabei, in einer Kirche genau das zu tun, was mich als Kind schon Mutter und Großmutter gelehrt haben: Wie viele andere auch stelle ich vor einem Marienbild eine Kerze auf. Ich setze mich davor, betrachte die brennende Kerze und das dahinter stehende Marienbild und schweige. Nach einigen Minuten wird mein Pulsschlag langsamer, ich komme zur Ruhe. Ich lasse meinen Gedanken freien Lauf. Und irgendwann denke ich an meine Mutter, meine Großmutter und die vielen andern, die mich in meinem Leben begleitet haben und immer noch begleiten. Ich denke an ihr Leben mit den vielen Entbehrungen und was sie alles für mich getan haben. Ich werde dankbar und mir wird warm ums Herz. Ich fühle mich mit ihnen verbunden. Und diese Verbundenheit geht weiter. Ich fühle mich auch mit den andern verbunden, die in diese Kirche kommen und vor dem Marienbild eine Kerze aufstellen. Ich sehe nicht nur noch meine flackernde Kerze, sondern auch die andern Kerzen. Jede steht für einen besonderen Menschen, mit seinen Sorgen, Nöten aber auch Freuden. Und mit der Zeit sprengt meine Verbundenheit auch die Mauern dieser Kirche und mir wird klar, dass überall auf der Welt, Menschen – so wie ich – vor einem Marienbild sitzen und eine Kerze aufstellen.

Wenn ich dann die Kirche wieder verlasse, bin ich ein gutes Stück ruhiger und gelassener. Ob das auch vor einem andern Heiligenbild oder gar einer Kreuzesdarstellung so geklappt hätte, weiß ich nicht. Hauptsache, es hat geklappt. Maria sei dank!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21900
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