SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Was machen Sie? Nichts. Ich lasse das Leben auf mich regnen.
Das schreibt Rahel Varnhagen, eine Dichterin der Romantik, in ihren Tagebüchern. Es ist ein Leben ohne Schirm, ein Leben, das weniger macht als zulässt, das sich aussetzt: dem Unerwarteten und Unplanbaren, im Wahrnehmen und Erleben, im Lieben, in der Stille und im Tun. Das Zulassen hat ihr viel an Leben zu-geregnet, an Begegnungen mit Persönlichkeiten des europäischen Geisteslebens wie auch über Brieffreundschaften.    

Das möchte ich auch: das Leben auf mich regnen lassen.
Mein Leben über den Tag hinaus zu bedenken und eine Vorstellung von der eigenen Zukunft zu haben, heißt nicht, den Blick für das Wesentliche im Jetzt verlieren, denn ich kann das Leben verfehlen, wenn ich nicht offen bin für den Augenblick.

Davon erzählt Jesus ein Gleichnis (Lukas 12,13-21).
Ein reicher Kornbauer  hat eine übergroße Ernte eingefahren und hat damit seinen Besitz sehr vermehrt. Naheliegend wäre, jetzt etwas mit seinem Leben anzufangen. Aber er verschiebt es auf später, wenn er auf noch größere Scheunen blicken kann: Dann, dann hast du einen Vorrat für viele Jahre.

Der Bauer sucht nach einem sorglosen Leben, aber verwechselt offenbar das Haben mit dem Sein, den vermehrten Besitz mit einem erfüllten Leben. Sein Besitz schenkt ihm Sicherheit, aber kein Leben. Er verschiebt das Leben auf später. Erst muss er noch die Scheune bauen, erst noch das tun, dann jenes. Wenn das erreicht ist, ja dann.

Aber der Tod kommt ihm in die Quere. Du Narr! In dieser Nacht wird man dein Leben von dir nehmen – heißt es im Lukasevangelium.
Was fehlt dem Bauern? Es fehlt ihm das Heute, er kommt nicht ins Leben, weil ihn die Sorge um seine Zukunft verschlingt. Es fehlt ihm die Dankbarkeit gegenüber dem Geschenkten, das Innehalten, das Sich-Freuen und Feiern mit anderen, mit denen, die am Erfolg beteiligt waren.

Erfülltes Leben – wie sieht es aus?
Für mich heißt das, nicht nur für das Morgen zu arbeiten und zu leben. Es meint, Leben nicht aufzuschieben, sondern Zeit und Ruhe finden, sich auch im Jetzt aufzuhalten und das bewusst wahrzunehmen, was der Augenblick mir an Besonderem bietet, um das Leben auf mich regnen zu lassen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21859
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