SWR2 Wort zum Tag

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„Jetzt steigere dich doch nicht so rein“ – Wenn dieser Satz fällt, ist manchmal Zorn oder Eifersucht, aber oft auch Angst im Spiel. Doch Angst ist ein sehr schlechter Ratgeber, das wissen alle, und es ist ein Gefühl, das einem die Lebenskraft und Lebensfreude raubt.
Dieses Gefühl ist auch in der Bibel beschrieben. Da betet zum Beispiel einer: „Du lässest mich erfahren viele und große Angst - und machst mich wieder lebendig.“ (Ps. 71,20)

Wenn man Angst hat, wird es einem eng ums Herz, man bekommt kaum noch Luft. Angst ist ein unmittelbar körperliches Empfinden. Die Psalmen beschreiben das in eindrucksvollen Bildern: Man fällt in den Rachen der wilden Löwen. Das Wasser steigt einem bis zur Kehle. Angst zeigt sich in körperlichen Beschwerden und psychischen Belastungen.
Was hilft gegen die Angst? Was kann einen aus „dem Rachen der Angst“ reißen, wie es in der Bibel heißt (Hi 36,6)?

Hilde Domin nennt das, was hilft, das „Dennoch-Vertrauen“. Diesen Begriff hat die große Lyrikerin für ihre eigene Lebenshaltung gefunden. Sie ist vor zehn Jahren verstorben (22.2.2006), ihr Grab ist auf dem Heidelberger Bergfriedhof. Hilde Domin mit ihrem „Dennoch-Vertrauen“ liess sich nicht von der Angst beherrschen. Das zeigt ihr Lebensweg: Sie war nach dem Krieg aus dem Exil zurückgekehrt in das Land, das sie bedroht und vertrieben hatte. Sie kam zurück und schrieb mit ihrer Lyrik gegen die Angst. Es brauche den Mut, an die Anrufbarkeit des Menschen zu glauben, sagte sie. Sie war zutiefst davon überzeugt, dass dies möglich sei.

Auf ihrem Grab steht einer ihrer Aphorismen: „Wir setzten den Fuß in die Luft, und sie trug“. Was für ein schöner Gedanke: Mit dem Dennoch-Vertrauen den Schritt ins Ungewisse wagen. Denn: die Luft, der Geist, der Atem trägt mich. Was für ein poetisches Bild für dieses „Dennoch-Vertrauen“!
„Wir setzten den Fuß in die Luft, und sie trug“.

Ich schreibe diesen Satz jungen Leuten als Geburtstagsgruß. Sie sollen sich trauen, in die Zukunft zu gehen. Sie sollen ihr Leben in die Hand nehmen, auch wenn bei vielem noch nicht sicher ist, was daraus werden wird. Sie sollen zuversichtlich sein und Mut zu ihrem Leben haben, nicht übervorsichtig und ängstlich.
Und ich halte ihn mir selbst auch vor Augen, wenn ich ängstlich bin, was werden soll: „Wir setzten den Fuß in die Luft, und sie trug.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21858
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