SWR2 Wort zum Tag

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„Die letzten Jahre seines Lebens ist Lothar Späth ins Land des Vergessens geführt worden, aber nicht ins Land des Vergessenwerdens.“ Das hat der evangelische Landesbischof Frank Otfried July bei der Trauerfeier für den ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten gesagt. Das ist eine schöne Würdigung, geprägt von großem Respekt. Dieser Mensch wird nicht vergessen. Sein Leben und das, was er  getan hat, stehen im Mittelpunkt. Und eben nicht die Demenz, die ihn in den letzten Jahren geprägt hat. 

Es gibt ungezählte Menschen, die auch in dieses  Land des Vergessens fortgegangen sind. Dort haben unser gewohntes Denken und Sprechen ihre Bedeutung verloren. Viele sind einsam und vergessen, lange schon, bevor sie tot sind. Dabei ist auch ihr Leben unendlich viel mehr als der Schatten ihrer letzten Jahre. Ihnen ist ein Buch gewidmet, dass die katholische Veronika-Stiftung Rottenburg veröffentlicht hat. „Wenn der Kopf hinausgeht, ganz weit fort …“, so lautet sein Titel.[1] Zwei Autorinnen haben über ein Jahr lang Gespräche mit dementen Menschen geführt und ihre Äußerungen und Gedanken festgehalten. Diese  sind oft so ehrlich und emotional, dass sie sprachlos machen. Auch Angst spricht daraus, Zorn und Trauer um das Leben, das in eine tiefe Dunkelheit hinein entglitten ist und in dem die Orientierung verloren gegangen ist. 

Es sind unterschiedliche Persönlichkeiten, die hier zu Wort kommen: eine alte Dame etwa, die Puppen sammelt, ein Philosoph, der früher Maschinenbauer war, eine Donauschwäbin, deren Gedanken, Gefühle und deren Sprache in ihre alte Heimat zurückgekehrt sind. 

Gemeinsam ist in ihnen allen das Gefühl, das eine der Demenzkranken beschreibt: „Wenn der Kopf hinausgeht, ganz weit fort …“ Ja, sie sind mit ihrem Denken und Fühlen in einer anderen Welt. Aber diese Welt ist für sie oft richtig und geordnet, während die Welt, die sie unmittelbar umgibt, sehr verstörend sein kann. Und manche Sicht auf das Leben, die sie ihren Gesprächspartnerinnen anvertrauen, ist erstaunlich hellsichtig. Auf die Frage: „Denken Sie, die bekommen nichts mehr mit?“ antwortet einer der Heimbewohner, der selbst auf dem Weg in die Demenz ist: „Nein, sie bekommen viel mit. Sie verarbeiten es anders.“ 

 In seiner Würdigung für Lothar Späth hat Landesbischof July gesagt: „Auch dann, wenn die Gestaltungskräfte unseres Lebens weniger werden, auch dann, wenn wir nichts mehr aus uns machen können und machen müssen, dann schenkt Gott uns Würde, Namen und Vollendung." Wenn wir uns auch ganz verlieren sollten, unsere Würde bleibt bestehen.


 

[1]Kathrin Feldhaus/Margarethe Mehring-Fuchs, Wenn der Kopf hinausgeht, ganz weit fort. Wie Menschen mit Demenz das Leben sehen, hrsg. v. d. Veronika-Stiftung Rottenburg, Ostfildern 2016

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21822
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