SWR2 Wort zum Tag

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Wie gewalttätig ist Religion? Auf diese Frage bietet sich im Moment eine leichte Antwort an: Religion ist gewalttätig, Religion fördert Konflikte, Religion sorgt für Hass und Zerstörung. Dafür gibt es starke Belege: Religionskriege zwischen Christen und Muslimen seit über eintausend Jahren, bewaffnete Konflikte zwischen Christen seit der Reformation. Aber auch der Terror zwischen Hindus und Muslime nach der Teilung von Pakistan und Indien im 20. Jahrhundert. Oder die Terroranschläge auf das World Trade Center. Und in jüngster Zeit wird das Gewaltpotential von Religion offensichtlich, wenn IS-Terroristen morden und antike Heiligtümer zerstören.

Aber es gibt auch die andere Seite der Religion. Große charismatische Gestalten wie Mahatma Ghandi, Martin Luther King und der Dalai Lama haben sich für den Frieden eingesetzt. Sie schöpften aus ihrem Glauben Kraft für ihr Friedensengagement. Sie setzten Waffen, Unterdrückung und Rassentrennung ihren gewaltlosen, friedlichen Widerstand entgegen – und veränderten so die Welt.

Der Befund macht ratlos. Ist Religion nun gewaltfördernd oder nicht? Es lohnt sich, genauer hinzusehen, wenn es um das Verhältnis von Religion und Gewalt geht. Friedensforscher betonen: Die meisten Konflikte entstehen aus Interessenskonflikten. Es geht vor allem darum, wie Güter verteilt sind: Geld, Bildung, Arbeitsplätze, Rohstoffe, Lebenschancen. Solche Verteilungskonflikte sind prinzipiell für einen Interessensausgleich, für einen Kompromiss offen. Kommt die Religion ins Spiel, werden aus diesen Interessenskonflikten sehr schnell Wertkonflikte. Es geht dann um fast alles: Den Wert, den ein Mensch hat, den das Leben hat, den der Glaube oder eine bestimmte Lebenseinstellung hat. Für Kompromisse ist da oft kein Platz mehr.

Religionen können also Konflikte verschärfen. Vor allem, wenn die religiöse Bildung fehlt, wenn etwa nicht bekannt ist, dass Frieden in der eigenen Religion eine wichtige Rolle spielt. Und das ist in allen großen Religionen der Fall.

Man kann umgekehrt sagen: Je reflektierter Religionen sind, je stärker sie im Austausch mit anderen Religionen stehen, desto weniger lassen sie sich für Konflikte ausnutzen und benutzen. Desto stärker können sie den Frieden fördern. Dafür gibt es unzählige Beispiele. Zum Glück.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21775
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