SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Gestern hab mich wieder mal überwunden, bin gelaufen. Meine altbekannte Strecke. Erst ein Stück Straße, dann hinter den Bahngleisen am Friedhof vorbei, weiter bis zum Rhein. Eine schöne, asphaltierte Strecke. Dann beginnt der ungemütliche Teil. Die Straße wird schlechter. Immer wieder Schlaglöcher, aufgeplatzter Asphalt. Dann wechseln sich Betonpiste und Gras ab. Später geht es wieder auf einer Straße, die ist aber auch ganz schön ramponiert. Ich laufe um Pfützen herum und hochstehende Kanaldeckel. Endlich geht es in den Wald. Weicher Boden. Überall kommen Wurzeln raus. Ich muss aufpassen, dass ich nicht stolpere. Dann noch ein paar Meter und ich komme verschwitzt und ausgepumpt wieder zu Hause an.

Oft genug nehme ich beim Laufen nur den Weg wahr. Gestern aber habe ich dann doch gemerkt, wie wunderbar die Sonne mir den Weg erleuchtet. Eine Frühlingssonne. Tiefstehend. Dunkelgelb. Mildes Licht in meinen Nachmittag. Sie wärmt mich – mein Gesicht und mein Herz.

Mein nachmittäglicher Lauf, das ist ein Bild für mein Leben. Jeder Tag sagt mir: Mach dich auf, lauf, es geht immer weiter, noch ein Stück, immer vorwärts. Manchmal kann ich mich nicht aufraffen. Weder zum Laufen noch zum Leben. Oft genug funktioniere ich einfach. Der Wecker klingelt, also geht der Tag los. Ich nehme in Angriff, was so kommt. Oft genug muss ich den inneren Schweinehund überwinden. Zum Laufen, aber auch zu dem neuen Tag. Oft genug vergehen die Tage einfach so: Morgen, Mittag, Nachmittag, Abend. Oft genug gucke ich nur auf den nächsten Schritt. Auf das, was anliegt, auf die nächsten Aufgaben, das Gespräch, die E-Mail, die ich beantworten muss. Ich gucke auf die Strecke, dass ich nicht stolpere oder in den Matsch trete.

Manchmal aber gibt es herausragende Augenblicke. Wie die Sonne beim Laufen. Ich lasse mich dann wärmen von einem freundlichen Wort, von einem Lob, von einem Buch, in dem ich lese, von einer Aufgabe, die ich erledigen kann und die mir gut gelingt, von einem Gespräch zwischen Tür und Angel. Das sind die Sonnenstrahlen des Tages. Und ich sage mir immer wieder, dass ich aufpassen muss, dass ich diese kostbaren Momente nicht verpasse. Weder beim Leben noch beim Laufen.

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