SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Ausgerechnet nachmittags um fünf muss ich nochmal los. Da tobt selbst in Freiburg der Feierabendverkehr. Auf dem Fahrrad dröhnt mir diese spezielle Mischung aus Automotoren, Straßenbahnquietschen und Geplapper nochmal lauter in den Ohren. Die nächste Ampel will ich unbedingt bei grün noch schaffen. Aber war nichts – ein Lieferwagen blockiert meine Abbiegespur. Ich bin genervt. Außerdem zerrt der Wind an mir.

An der Straßenbahnhaltestelle links drängeln sich gerade Leute  in die nächste Tram. Sieht auch stressig aus. Ich schau nach rechts. Da steht ein Mann. Mit Winterjacke und Mütze. Er steht der Straße zugewandt und hat die Augen geschlossen. Er rührt sich nicht.

Es dauert ein paar lange Sekunden bis mir klar wird, dass er sein Gesicht in die Sonne hält. Die ist eben grade durch die Wolken gebrochen und wirft ein zauberhaftes Licht über die Stadt. Fasziniert schaue ich dem Mann zu, wie er reglos Sonne tankt. Lärm und Hektik dringen nicht zu ihm durch. Jetzt erst spüre ich, dass es auch gar nicht mehr kalt ist.

Ich mache es dem Unbekannten nach und halte mein Gesicht auch in die Sonne. Was für eine Wohltat. Für Augenblicke spüre ich, dass meine durchgetaktete Zeit von etwas anderem, Größerem umfasst wird.
Die Sonnenstrahlen erzählen von einem anderen Zeitmaß. Sie erzählen von der Kraft, die in der Schöpfung liegt und die sie mir schenkt – ich muss sie nur zulassen. Jetzt hab ich das Grünlicht verpasst. Der Autofahrer hinter mir hupt. Ich drehe mich um und lächle ihn an. Und dann fahre ich.

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