Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Da stell‘ ich mich schon lange nicht mehr drauf.“ Mein Freund Daniel schüttelt den Kopf. „Aber das ist doch total wichtig. Du musst doch wissen, wie viel du wiegst.“ „Nein“, sage ich, „die Waage deprimiert mich immer so. Jeden Morgen. Das will ich lieber nicht wissen.“

Daniel schaut mich verwundert an. Und er hat ja Recht. Natürlich ist das Unsinn. Die Waage kann ja nichts dafür, dass ich zu viel wiege. Und wenn ich sie ignoriere, nehme ich auch nicht ab. Manchmal will ich es trotzdem nicht so genau wissen. Zu viel Wissen verdirbt oft die Laune.

In der Bibel sagt König Salomo: Gott kennt das Herz aller Menschen ganz genau (1. Kön 8,39). Gott drückt also kein Auge zu. Und trotzdem lässt er sich die Laune nicht verderben. Das ist – für mich – das ganz große Geheimnis des Glaubens. Wenn ich nicht so genau hinschaue, dann geht es mir meistens besser. Hier mal „fünfe grade sein lassen“, da „ein Auge zudrücken“. Ist schon nicht so schlimm. Macht mir höchstens ein bisschen schlechtes Gewissen, aber mit dem werde ich fertig.

Manchmal habe ich das Gefühl, das ist der Weg, mit dem zu leben, was mich deprimiert. Jeden Abend möchte ich die Tagesschau abschalten. Ich möchte keine Nachrichten über Krieg und Flucht mehr sehen. Da ist es verführerisch, einfach die Augen zu schließen. Was ich nicht sehe, ist nicht da.

Aber Gott macht das anders. Gott sieht ganz genau hin und hört uns an. Darauf vertraut König Salomo und bittet Gott: Hab doch ein Auge auf uns. Noch besser: Schau mit beiden Augen auf uns. Gib uns die Zuversicht, dass du mit uns gehst. Denn dann können wir ruhig schlafen und jeden Tag wieder daran arbeiten, dass diese Welt ein besserer Ort wird.

Daniel nimmt einen neuen Anlauf: „Du benimmst dich wie ein Kleinkind. Deine Pfunde sind da. Ob mit oder ohne Waage.“ „Ja“, sage ich, „das sehe ich ein. Morgen mache ich was dagegen. Wollen wir ein Eis essen gehen?“

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