SWR4 Abendgedanken

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„Ich will aufhören, mehr von mir zu wollen als ich leisten kann.“ Das hat eine junge Frau gesagt. Ich habe von ihr gelesen. Sie hatte eine schwere Krankheit überstanden. Eine Herzkrankheit. Wochenlang hatte sie kaum noch Luft bekommen, war ständig müde. Deshalb war sie zum Arzt gegangen. Der hatte einen Tumor am Herzen entdeckt. Sofort musste operiert werden. Es sei ein großes Glück, dass sie überhaupt noch lebte, hatte der Arzt gesagt. Die Operation war dann erfolgreich, der Tumor gutartig. Aber der Heilungsprozess hat viele Wochen gedauert. Zeit genug für die junge Frau über ihr Leben nachzudenken.

„Ich habe überlebt, andere in meinem Krankenzimmer hatten nicht so viel Glück“, hat sie später gesagt. Sie wollte ihr Leben ändern. „Wenn ich gestorben und vor eine Art Jüngstes Gericht gerufen worden wäre“, hat sie erzählt, „dann hätte ich bekennen müssen: Ich habe zu wenig riskiert und geliebt, ich war zu selten zufrieden.“ Das hat sie erschreckt und sie hat sich vorgenommen: „In Zukunft will ich mit leichtem Gepäck unterwegs sein. Ich habe gemerkt, wie schön es ist, wenn ich Zeit für die Menschen habe.“ Und dann hat sie diesen wunderbaren Satz gesagt: „Ich will aufhören, mehr von mir zu wollen als ich leisten kann.“ 

Mich beeindruckt dieser Satz. Auch ich fordere oft mehr von mir als ich leisten kann. Das macht mich unzufrieden und ungeduldig. Auch im Umgang mit anderen. Dann spüre ich, wie mein Herz eng wird und mich drückt. Von dieser jungen Frau will ich lernen, geduldiger mit mir zu sein. Ich muss nicht alles auf einmal erreichen. Einfach ist das nicht. Schließlich fühle ich mich verantwortlich für das, was geschieht.

Aber hat Jesus den Menschen nicht geraten. „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“? Sich selbst lieben. Ich glaube: Damit ist nicht gemeint, nur an sich zu denken ohne Rücksicht auf andere. Ich verstehe den Satz so: Auch wenn nicht immer alles gelingt: Ich darf mich mögen. Dazu gehört für mich auch zufrieden zu sein mit dem, was ich kann und was ich habe.

Wer das kann, der kann dann auch andere so annehmen wie sie sind. „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“. Ich meine: Dann könnten alle – so wie die junge Frau gesagt hat - „mit leichtem Gepäck“ durchs Leben gehen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21686
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