SWR2 Wort zum Tag

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Erschrecken Sie nicht! Am frühen Morgen gleich innigste Liebeslyrik. Vor 800 Jahren ist bei Magdeburg eine Frau geboren, die zu den größten Dichterinnen und Mystikerinnen Deutschlands gehört. Hören Sie bitte mit, wie diese Mechthild sich höchst persönlich von Gott angesprochen sieht, und denken Sie ruhig einen Moment an sich selbst: „Du bist mein Lagerkissen, / Mein Minnebett, / Meine heimlichste Ruhe, / Meine tiefste Sehnsucht, / Meine höchste Herrlichkeit. / Du bist eine Lust meiner Gottheit, / ein Trost meiner Menschheit, / Ein Bach meiner Hitze.“ Das ist Leidenschaft pur, zwischen uns Menschen durchaus möglich, wenn es gut geht, hinreißend und überraschend. Aber diese Mechthild weiß sich als die Geliebte Gottes. Könnte unsereiner sich wichtiger genommen sehen als derart in Beziehung zu Gott, geliebt und begrüßt, leidenschaftlich umworben und gesucht? Sollte das wahr sein, dass unsereiner solch eine Würde hat? Sollte ein Gott sein, der unsereinen derart lustvoll sucht und trägt und umarmt? Traumhaft förmlich ist diese Verheißung des Glaubens. Aber sie der Kern des Christseins: heilige Kommunion zwischen Gott und Mensch, das Geheimnis, das da Gott heißt, ist verliebt in den Menschen und die Welt; so wichtig bin ich kleiner Wicht, so hochgeschätzt, so gewürdigt. Schier unglaublich. Der Mensch umgekehrt – Mechthild sagt „die Seele“ – spricht gleichermaßen verliebt: „Du bist mein Spiegelberg, / Meine Augenweide, / Ein Verlust meiner Selbst, / Ein Sturm meines Herzens, / Ein Fall und Untergang meiner Kraft, / Meine höchste Sicherheit.“ Mechthild erfährt sich als die Geliebte Gottes, auf gleicher Augenhöhe ist sie im Gespräch mit ihm, ein ungeheures Selbstbewusstsein erwächst dieser Frau daraus, von niemandem auf der Welt lässt sie sich bevormunden, gottunmittelbar und unglaublich frei geht sie ihren Weg und findet ihre Sprache. „Was Gott hofft, das wage ich“ – und so verhält sich diese Begine in Magdeburg. Sie deckt Missstände in der Männerkirche auf, sie kritisiert klerikalen Egoismus, vor allem: sie ist eine Minnesängerin der Liebe Gottes und der Schönheit der Schöpfung. Lassen wir es uns Mechthilds Worte auf der Zunge zergehen, die sie von Gott her hört, an Sie und mich adressiert: „Du bist mein Lagerkissen, / Mein Minnebett, / Meine heimlichste Ruhe, / Meine tiefste Sehnsucht, / Meine höchste Herrlichkeit. / Du bist eine Lust meiner Gottheit, / Ein Trost meiner Menschheit, / Ein Bach meiner Hitze.“ Wer dürfte sich da noch ablehnen, fertigmachen oder geringschätzen? Jeder Mensch, der uns heute begegnet, ist Gottes Ebenbild und Partner. Und Sie und ich sind es auch.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=2168
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