SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Ich mag es harmonisch. Wenn Einigkeit herrscht, alles glatt und reibungsfrei läuft. So gehen selbst stundenlange Konferenzen flüssig und schnell über die Bühne. Genau darum war ich erstmal sprachlos, als ein Teilnehmer am Ende einer langen Konferenz meinte: „Wir haben uns zu wenig gezofft.“ Ein ruhiger, ausgeglichener Mensch, alles andere als ein Streithansel. Aber die Harmonie hat ihn gestört.

Sein Einwurf ist mir noch länger nachgegangen. So schön es mit der Harmonie ist, vielleicht kann man sich manchmal wirklich zu wenig streiten. Vor allem dann, wenn es um Menschen geht, so, wie in unserer Konferenz. Um die Entscheidung, wer von ihnen besonders gefördert wird und wer nicht. Wenn dann Entscheidungen nach Aktenlage getroffen werden, wie es heißt. Wenn Sabine, Christian oder Antonia eben nur in Formularen und schriftlichen Beurteilungen dabei sind. Am Ende entscheidet dann die Aktenlage über Hopp oder Top, Niederlage oder Erfolg und damit manchmal auch über Zukunftschancen. Ich bin mir trotzdem sicher, dass wir gewissenhaft geprüft und entschieden haben. Und doch. Bei diesem oder jener hätten wir gewiss auch länger streiten können, vielleicht auch sollen.

Genau darum beneide ich auch jene nicht, die gerade über hunderttausende Asylanträge entscheiden müssen. Unter Zeitdruck und nach Aktenlage geht es um Bleiben oder Gehen, um Hoffen oder Verzweifeln. Ich bin sicher, alle machen das gewissenhaft und werden sich doch manchmal fragen: Hätte ich in diesem Fall vielleicht mehr streiten müssen? Mit mir selbst oder auch mit anderen?

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21679
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