SWR4 Abendgedanken

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Kluge Tüftler haben Gewächshäuser entwickelt, die wie ein Hochhaus aus vielen Etagen bestehen. Die Pflanzen wachsen in einer Art Schublade und werden mit LED Lampen Tag und Nacht beleuchtet. Der moderne Gärtner braucht hier viel weniger Pflanzenschutzmittel und kann  rund ums Jahr ernten. Eine Sache hat die Forscher bei diesen Super-Gewächshäusern aber überrascht: Ohne Wind können viele Pflanzen nicht richtig wachsen. Die Wurzeln und Stängel bleiben zu schwach. Erst der Wind macht die Pflanzen widerstandsfähig und gesund. 

Manchmal komme ich mir in unserer Gesellschaft auch wie in einem Gewächshaus vor. Da wird versucht alles zu vermeiden, was irgendwie nach Widerstand aussieht. Bei den Kindern fällt es mir besonders auf: Unsere Kinder sollen es möglichst gut und sorgenfrei haben! Bei manchen droht es aber eine Welt aus Watte zu werden. Vielleicht tun wir unseren Kindern und Enkeln oft gar keinen Gefallen damit. Denn es ist doch wie mit den Gewächshaus-Pflanzen, die den Wind offensichtlich brauchen. Wie sollen unsere Kinder ohne Widerstand selbstständig und stark werden? 

Bei unserer kleinen Tochter zum Beispiel dauert es morgens ziemlich lang, bis sie sich alleine angezogen hat. Sie ringt mit Strumpfhose und Pullover, bis sie es endlich geschafft hat. Viel leichter wäre es, wenn die Eltern das übernehmen. Oder es geht darum das Zimmer aufzuräumen. Da muss ich richtig hartnäckig sein, bis endlich was passiert. Es sind oft solche kleinen Dinge, die dem Kind helfen, sich für etwas verantwortlich zu fühlen. 

Und bei Erwachsenen ist es doch auch so: Zum Leben gehören Widerstände, an denen ich wachsen kann. Für mich kann das bedeuten, mein Fahrrad mal wieder selbst zu reparieren, auch wenn ich zwei linke Hände habe. Oder Probleme im Beruf offen anzusprechen, obwohl es leichter wäre, mich einfach taub zu stellen.

Doch selbst wenn das anstrengende Arbeitsleben hinter mir liegt und ich alle Zeit der Welt habe: Natürlich ist es da verlockend, sich dauerhaft vor dem Fernseher nieder zu lassen. Besser finde ich es aber, sich neue Herausforderungen zu suchen: Zum Beispiel im Verein, der Gemeinde oder in der Nachbarschaft. Nicht weil es dort alles so bequem wäre, sondern gerade wegen der Widerstände. 

Im Kleinen wie im Großen zeigt sich: Erst wenn ich dem Wind standhalten kann, bin ich für die Stürme des Lebens gewappnet.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21568
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