SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Nie beginne ich den Tag ohne Gebet, sagt der muslimische Reiseführer im Bus, und der Ruf des Muezzin helfe dazu. Es tue einfach gut, dankbar und gut gestimmt aus dem Haus zu gehen. Manche aus der Gruppe, allesamt christlich geprägt, gestehen mir hinterher ihre Verlegenheit. Betroffen registrieren  sie, was ihnen abhanden gekommen ist. Denn natürlich ist  das Morgengebet  auch hierzulande ein kostbarer Brauch, jedenfalls gewesen. Diesen Tag also, und jeden,  nicht einfach als selbstverständlich hinzunehmen, sondern ausdrücklich zu  begrüssen, und  das  dankbar und voller Zuversicht – welch eine gute Gewohnheit.  Nehmen wir christlich z.B.  das Vaterunser, das kostbarste aller Gebete.  Denn in  keinem anderen  kommen wir der Gestalt Jesu näher, es trägt eindeutig seine Handschrift, es atmet seine ganze  Leidenschaft. Umso trauriger ist es, dass diese wunderbare Gebetshilfe so oft ungenutzt bleibt oder nur heruntergeleiert wird.

Lapidar fängt  da alles mit der Anrede an: Abba, Vater.  Welch  ein unglaubliches Gottvertrauen: Papa. Intimer geht’s nicht, freilich nur wenn die Vaterbeziehung stimmt – und das ist ja keineswegs selbstverständlich.  Immerhin:  in dieser  Anrede wird  eine Grundgüte vorausgesetzt, mit der wir ins Dasein schon starten  dürfen. Auf Lob und Liebe ist in der Tat jeder ansprechbar, jede. Als wären wir darauf  genetisch codiert. Wir sind eben, religiös gesprochen, allesamt Kinder Gottes. Niemand kommt mit einem Hass- und Frustprogramm auf die Welt.. “Wenn schon ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gebt, was gut ist, um wieviel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist denen  geben, die ihn darum bitten.“ (Lk 11,13) In diesem Satz steckt die ganze Lebensmusik Jesu, die das Glück des Christenmenschen ausmacht.

 Aber sofort können Einwände und Widerstände auftauchen. Warum Vater und nicht Mutter, warum nicht Freund und Freundin ? Und vor allem: wie kann ich denn  in das Dunkel der Geschichte hinein  Du sagen und Papa?  Die schweigenden Räume des Kosmos, die Abgründe der menschlichen Seele, das Gewirr und Gewusel des Alltags, und immer die Schreckensnachrichten aus aller Welt: wie denn da an einen personalen Gott glauben und ihn persönlich ansprechen, so intim gar wie im Vaterunser?  Schon die Evangelisten  rahmen das Gebet mit einer Geschichte. „Herr, lehre uns beten“ – bitten da die Jünger Jesu. Sie wissen offenkundig nicht, wie es geht.  Mit solch fragendem Tasten fängt das Beten an. „Training unserer Sehnsucht“, hat es Augustinus genannt – einübendes Wünschen. „Herr, lehre uns beten“. Lehre uns neu, diesen Tag, und jeden,  dankbar zu begrüssen und mit dem Vaterunser ins Gebet zu nehmen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21551
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