SWR2 Wort zum Tag

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Ein Heilige genannt zu werden, dagegen hat sie sich immer gewehrt. Dennoch findet sich heute ihr Name im ökumenischen Heiligenkalender: „Elsa Brandström“. Am 4. März 1948 ist sie im Alter von 59 Jahren in Cambridge bei Boston gestorben. Eine Frau, die ein Leben gegen den Strom gelebt hat.

In Petersburg 1888 als Tochter des schwedischen Militärattachés geboren, wächst sie so auf, wie das damals in diplomatischen Kreisen üblich war – mit Opernabenden, glanzvollen Bällen und Schlittenpartien. Aber die vergnüglichen Tanzabende füllen sie nicht aus. Elsa erlebt die sozialen Ungerechtigkeiten des zaristischen Russlands, die bald darauf  - 1917 – zur Revolution führen. Im Nikolaihospital in Petersburg sieht sie deutsche Kriegsgefangene, die nach Sibirien transportiert werden sollen. Menschen in erbärmlichen Zustand, ohne ausreichende Verpflegung und Bekleidung.

Die Diplomatentochter lässt sich zur Schwesternhelferin ausbilden und reist 1915 gegen den Widerstand ihrer Familie nach Sibirien. In den Gefangenenlagern, Erdbaracken, die tief in den feuchten Lehm gegraben sind, trifft sie auf unvorstellbare Zustände. Durch ihr couragiertes Auftreten kann sie eine Verbesserung dieser Zustände erreichen. Die Gefangenen verleihen ihr den Ehrentitel „Engel von Sibirien“, eine Bezeichnung, die die gänzlich unsentimentale Frau überhaupt nicht mag.

1929 heiratet sie den Dresdner Pädagogik Professor Robert Ulich. Beide lehnen die Rassetheorien der Nazis ebenso ab wie den Terror gegen Andersdenkende. Darum siedeln sie 1933 in die USA über. Um Emigranten eine erste Arbeitsmöglichkeit zu verschaffen, richtet Elsa dort ein Café ein. Sie selbst arbeitet als Küchenhilfe und Bedienung. Als der zweite Weltkrieg vorbei ist, organisiert sie Lebensmittelsendungen, Care-Pakete, für die hungernde deutsche Bevölkerung.

Ich weiß noch, dass eins dieser Pakete damals auch bei uns zu Hause angekommen ist. Mit einem kleinen flauschigen Kaninchen, das für mich als Kind über Jahre das Lieblingsspielzeug war. Es hat mir die trümmervolle Nachkriegswelt, in der ich aufgewachsen bin, freundlicher gemacht. Und mich daran erinnert, dass es immer einzelne Menschen sind, die uns berühren und in uns eine Spur hinterlassen. Elsa Brandström, eine Frau, die – wie ich meine – völlig zu Recht in den Heiligenkalender gehört.

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