SWR2 Wort zum Tag

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Sich um einen kranken Menschen kümmern heißt  auch: Ekel überwinden. Denn ihre Körper sind nicht immer frisch gebadet. Im Gegenteil. Man muss Gestank ertragen, Brechreiz unterdrücken, im Zimmer bleiben, wenn man am liebsten rauslaufen möchte. Das hat mir mein Lehrpfarrer beigebracht. Hausbesuche bei einsamen und kranken Menschen – das machte er zweimal die Woche.

Sein Rat an mich, bevor wir eine alte Frau besucht haben, die ganz allein am Rande eines Schwarzwalddorfes in einem heruntergekommenen Haus lebte: „Machen Sie sich darauf gefasst, dass es in dieser Wohnung fürchterlich stinkt.“  Er hatte nicht übertrieben. Und mit dem Rollkragen über der Nase und dicht am Fenster hielt ich es gerade noch aus. Seit Wochen lag die alte, kranke Frau im Bett, völlig ungepflegt, denn sie hatte niemanden mehr, der sich um sie kümmerte. Aber sie freute sich so, dass der Herr Pfarrer kam, bat ihn, ihr doch unter dem schmuddeligen Nachthemd am Rücken zu kratzen. Und als Geschenk holte sie eine Dose mit von Flusen verklebten Bonbons hervor.

Sich kümmern heißt dann auch: Nicht tun, wonach einem ist. Dableiben, und nicht weglaufen. Sich selber überwinden. Das ist die Voraussetzung, um überhaupt helfen zu können, reden zu können, zuhören zu können dem, der nur noch wie ein Häuflein Elend im Bett liegt. Und für den es vielleicht die letzte Freude ist, dass überhaupt noch jemand zu ihm kommt.

Das ist jetzt vielleicht alles ein bisschen ekelig am Morgen. Aber denken Sie einmal an all die Menschen, die zuhause einen Angehörigen oder einen Freund pflegen. Denken Sie an die Krankenschwestern, die jetzt auf dem Heimweg sind und in der Nacht einen Menschen nach einem Blutsturz versorgt haben. Denken Sie an die Krankenpfleger, die jetzt ihre Runde über die Station machen und sich um Demente kümmern, die es nicht mehr bis zur Toilette schaffen. An die Pflegekräfte, die Menschen, die vor Dreck starren, erst einmal waschen, bevor der Arzt sie behandeln kann. Damit tun sie alle mehr für die Seele dieser Menschen, als gute Worte und frommen Sprüche vermögen. Wenn andere sagen: Das kann ich nicht! Mir wird schlecht. Dann verdanken wir denen, die ihren Ekel überwinden, dass Kranken geholfen wird – an Leib und Seele.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21535
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