SWR3 Gedanken

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„Wo einer kniet, ist ein Engel zugegen“. Ein Satz der Schriftstellerin Claire Goll. Für die einen mag der Satz fromm, unterwürfig und gläubig, oder abergläubisch klingen. Für andere zeitlos zauberhaft. Knien ist eine Demutsgeste. Im besten Fall begibt man sich freiwillig auf den Boden oder auf eine harte Kirchenbank. Wie Willy Brand in Warschau, als er am Ehrenmal des Warschauer Ghettos mit seinem Kniefall die deutsche Schuld öffentlich sichtbar eingestanden hat. Und auf einer Kirchenbank kniet man nicht vor dem Pfarrer nieder oder um sich zu kasteien, sondern aus Ehrfurcht vor Gott. Ja aber warum soll da ein Engel zugegen sein? Engel, die als Boten Gottes gelten, als Zwischenwesen zwischen Himmel und Erde? Vielleicht weil Menschen, die knien, gerade dadurch, dass sie sich im Wortsinne erniedrigen in höhere Sphären gelangen können. In geistig-geistliche Sphären, in diesen Zwischenraum zwischen Himmel und Erde, in dem auch Engel gedacht sind. Vielleicht auch, weil Menschen, die knien meistens gute Gedanken haben. Sie bitten um das Wohl für andere Menschen oder um Verzeihung. Sie beten für sich oder um den Frieden. Oder sie danken Gott für das Gute in ihrem Leben oder dafür, dass etwas gut gegangen ist. Mir gefällt diese Vorstellung, dass genau dabei diese unsichtbaren Flügelwesen anwesend sein sollen. So wie Bienen zum Nektar fliegen und um die Blumen herumsummen.
Der Schriftsteller Peter Handke muss ähnliche Gedanken gehabt haben, als er darüber nachgedacht hat, wie schön es ist, wenn Liebende in ihrer Liebe etwas Drittes bei sich wähnen, sei es ein Engel oder Gott. Handke schrieb: „In der Kathedrale küssten sich zwei, noch fast Kinder, im Knien lange. Lösten sich dann voneinander und beteten.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21501
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