SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Manchmal verliere ich einen Menschen. Und ich meine jetzt nicht durch den Tod. Nein, ich verliere ihn aus den Augen. Oder es ereignet sich etwas zwischen uns, so dass wir lieber auf Distanz zueinander gehen. Im Extremfall entsteht ein so großer Bruch, dass wir froh sind, einander nicht mehr zu sehen. Und wenn es trotzdem passiert, gehen wir uns lieber aus dem Weg. Ich möchte aber keinen Menschen verlieren. Schon gar nicht, wenn wir uns seit Jahren kennen und gut miteinander befreundet sind. Das tut mir dann weh. Schließlich gibt es schöne Erinnerungen. Wir haben besondere Dinge miteinander erlebt, haben uns Geheimnisse anvertraut, haben den anderen für etwas Besonderes gehalten. Und das soll auf einmal vorbei sein, als wäre nichts gewesen? 

Was ist der Grund, dass so etwas passiert? Mir fällt auf, dass ich den oft nicht kenne. Eine unglückliche Verquickung von Umständen vielleicht? Ein Missverständnis? Irgendwann beginne ich bei mir zu suchen, ob ich etwas falsch gemacht habe. Oder ob ich etwas vergessen, also nicht gemacht habe, was der andere erwartet hat. Das kann unter Umständen viel schlimmer sein. Wenn es keine Möglichkeit gibt, darüber zu sprechen, bleibe ich mit meinen Phantasien allein, und kann nichts dafür tun, um das aus dem Weg zu räumen, was zwischen uns steht. Das passt mir nicht. Aber es bleibt mir nichts übrig, als es zu akzeptieren.

Nach einiger Zeit kommt dann auch der Punkt, wo ich mich über den anderen ärgere. Schließlich hätte der auch einen Schritt auf mich zumachen können. Es wurmt mich, wenn ich mir vorstelle, dass er offenbar gar kein Interesse mehr daran hat, die alte Freundschaft zu retten und den Kontakt wieder herzustellen. Aber auch das nützt nichts. 

Es gibt ein Merkmal des christlichen Glaubens, das mir heilig ist. Die Versöhnung. Ich finde, dass Christen sich dadurch besonders auszeichnen, wenn sie mit ihrem Glauben ernst machen. Sie machen den ersten Schritt, wenn es nicht stimmt zwischen ihnen und einem anderem. Und sie sind bereit, eine Entschuldigung anzunehmen, wenn sie beleidigt oder verletzt worden sind. Diese Bereitschaft, neu anzufangen nach einem Konflikt oder einer Krise gilt für Christen grundsätzlich. Siebenmal siebenundsiebzigmal verlangt Jesus. Also: immer wieder. Ohne zu rechnen, und ohne daran zu denken, dass jetzt womöglich der andere dran sein könnte, um den ersten Schritt zu machen.

Ich bin mir darüber im klaren, dass ich damit den Verlust nicht rückgängig machen kann. Wenn eine Freundschaft einmal zerbrochen ist, wird sie auch dadurch nicht gerettet. Aber es tut mir dann wenigstens gut zu spüren, dass ich keinen Groll oder gar Hass mit mir herum trage, sondern bereit bin, jederzeit neu anzufangen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21480
weiterlesen...