SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Ich rede heute über Empathie, also über Einfühlungsvermögen. Warum? Die Emotionen und die Diskussionen überschlagen sich in diesen Tagen.  Es ist noch nicht allzu lange her, da glaubte ich an einen breiten gesellschaftlichen Konsens angesichts der Not der vielen Menschen, die vor Krieg und Terror geflohen sind oder auch aus schierem Elend; Menschen, die bei uns Schutz und eine neue Lebensperspektive suchen.  Wenn Menschen in Not sind, dann helfen wir ihnen. Von dieser Gemeinsamkeit war ich überzeugt. Und zahlreiche Menschen bestätigen mich darin bis heute. Gottseidank. Vieles geschieht leise und selbstverständlich. Doch der Strudel der Irritationen, die verständlichen Sorgen, aber auch die zunehmend aggressive Fremdenfeindlichkeit, der kaum mehr durchschaubare politische Streit – dies alles bestimmt die öffentliche Szene. Leider viel zu laut.

Ein Kompass ist notwendig, der die Richtung weist. Diese Richtung heißt für mich: Es geht um Menschen. Nicht um Zahlen, nicht um anonyme Massen. Es geht um Menschen. Um lauter einzelne Menschen mit lauter einzelnen Lebensgeschichten, Schicksalen, Hoffnungen. Deshalb rede ich von Empathie. Empathie bedeutet: Ich bin bereit, mich auf das einzulassen, was einen anderen Menschen bewegt, erfreut, belastet. Ich bin bereit, mich aus meinem Inneren heraus für das Innere eines anderen Menschen zu öffnen.

Ich rede nicht von Sympathie. Dass ein Mensch mir sympathisch ist – das kann ein zufälliges und spontanes Gefühl sein, manchmal dauerhaft, manchmal unverbindlich und vorübergehend. Empathie meint etwas anderes: eine Haltung, die natürlich mit Gefühlen verbunden ist, aber auch mit Vernunft. Ich muss mich um Einsicht in den anderen Menschen bemühen. Und vor allem: Ich muss um diese Haltung ringen, ein Leben lang. Sie fällt mir nicht in den Schoß, weil ich oft mehr um mich selber kreise, als dass ich mein Gegenüber wahrnehme. Das muss ich mir eingestehen bei Menschen, die mir nahe und vertraut sind. Und noch viel mehr bei Menschen, die ich gar nicht kenne und von denen ich doch spüre: Ihr Schicksal geht mich etwas an.

Empathie. Den anderen Menschen wahrnehmen. Aus elementarer Menschlichkeit heraus fühlen, denken, handeln. Zumindest dazu bereit sein. Das klärt nicht alle Probleme. Aber es kann ein Kompass sein, eine Orientierung, die mir hilft, die Menschen und die Menschlichkeit im Blick zu behalten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21425
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