SWR2 Wort zum Tag

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Barmherzigkeit – dieses Wort ist aus dem allgemeinen Sprachgebrauch fast verschwunden. Für viele klingt es antiquiert. Für andere schwingt darin etwas  Betuliches mit oder auch eine gewisse Überheblichkeit, in der der Stärkere sich dem Schwächeren zuwendet. Das gibt zu denken.

Papst Franziskus hat dem Wort Barmherzigkeit jetzt zu neuer Aufmerksamkeit verholfen:  Er hat wieder bewusst gemacht, was das heißt: barmherzig sein:  leben und handeln aus elementarer Menschlichkeit. Man kann an seiner Person ablesen, was das bedeutet: frei und offen sein für die Menschen und für all das, was Menschen belastet und bedrückt und was sie freut und hoffen lässt. „Ein Herz, das hört“, so heißt es in der Bibel einmal; zuerst einmal zuhören und wahrnehmen, was den anderen Menschen bewegt, und sich dann in seinem Inneren davon bewegen lassen.

 „Misericordia“, so lautet das lateinische Wort für Barmherzigkeit. Wörtlich übersetzt heißt das: ein Herz für den Armen. Ein Herz, das nicht in sich verschlossen ist, sondern das sich dem Du in seiner Bedürftigkeit zuwendet. Und wer wäre nicht der Zuwendung bedürftig? „Misericordia“, „Barmherzigkeit“: das ist in der Bibel geradezu ein Name Gottes. Ein großes und weites Herz für die Menschen – ein Bild für Gott? Und was hat das für Folgen für mich, wenn ich an diesen Gott zu glauben versuche? „Seid barmherzig, so wie auch euer Vater barmherzig ist“, sagt Jesus (Lk 6,36). Mein Gott, welch ein Wort!

Ein Freiburger Pfarrer hat in einer Predigt vor kurzem von „Herzensfreiheit“ gesprochen. Das hat mir noch einmal einen neuen Blick darauf eröffnet, was das alte Wort „Barmherzigkeit“ bedeuten könnte: Dass ich nicht zuerst Rechnungen und Gegenrechnungen aufstelle, Leistung und Gegenleistung gegeneinander aufwiege; dass ich nicht durchspiele, was sich lohnt und was nicht und was dabei für mich herauskommt. Dass mich auch nicht die Frage lähmt, was auf mich zukommt, oder die Angst, ich könnte versagen. Sondern dass ich in meinem Herzen, aus meinem Innersten heraus frei bin, auf den anderen Menschen zuzugehen und ihm so zu begegnen, wie es ihm wohl tut.

Ich begegne immer wieder Menschen, die eine solche großherzige Menschlichkeit ausstrahlen. Und ich spüre bei ihnen oft, dass sie sich selbst getragen wissen von einer bedingungslosen göttlichen Liebe.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21423
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