SWR2 Wort zum Tag

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Als Kind habe ich Vexierbilder geliebt. Das waren Bilder, die aus verschiedenen Blickrichtungen unterschiedliche Bildinhalte vermittelten. Es kam also auf die Perspektive an, ob man in einer Zeichnung eine Blumen-vase oder ein Gesicht sah, ob man den Kopf einer alten oder den einer jun-gen Frau entdeckte.
Vielleicht ein gutes Beispiel dafür, denke ich heute, wie auch der Glaube den Blick auf die Welt verändern kann. Ich bleibe dann nicht mehr an dem hängen, was ich auf der Oberfläche sehe. Mein Blick gewinnt an Tiefe.
Solche geradezu paradoxen Umkehrungen der üblichen Sicht auf das Le-ben finden sich in der Bibel immer wieder. Wer sein Leben erhalten will, wird es verlieren, sagt Jesus, aber wer aber sein Leben verliert um meinet-willen, der wird’s finden. Und Paulus spricht an anderer Stelle davon, dass Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht hat und gerade das, was aus Sicht der Welt töricht ist, Weisheit nennt.
Eine Umwertung der Werte findet so statt, ein Wechsel der Perspektiven. Paulus erzählt von sich selbst, wie er das, was ihm einst wichtig war nach der Begegnung mit Jesus plötzlich für schädlich hielt, ja sogar „für Dreck“ erachtete. Mehrheitsfähig ist das sicher nicht.
Aber für Paulus beginnt sein Leben erst nach dieser Begegnung wirklich gut zu werden. Seine Schwächen muss er jetzt nicht mehr verstecken, son-dern kann offen damit umgehen. Seiner Ängste und seiner Tränen muss er sich nicht schämen, weil er nicht länger den starken Mann markieren muss. Mit seinen Erfolgen muss er nicht prahlen, weil er weiß, dass er sie einem anderen verdankt.
Wer gegen den Strom schwimmt, so las ich neulich, darf nicht erwarten, dass der Strom die Richtung ändert. Nein, das gewiss nicht! Aber er braucht auch nicht über seine eigene Schwäche und sein Unvermögen zu verzweifeln. Wo Paulus seine eigene Kraftlosigkeit erlebte, wusste er sich gehalten durch eine andere Kraft, die aus seiner Schwäche Stärke machte.
So verstand er seine Leben: traurig und doch allezeit fröhlich, arm und doch unendlich reich, als jemand, der einerseits nichts hat, und der doch andererseits alles hat.
Das fasziniert mich auch heute: wie der Glaube die Welt auf den Kopf stellt und Menschen und Dingen eine andere Perspektive verleiht. So dass sich hinter manchem Rätsel doch ein Sinn abzuzeichnen beginnt.
Ich wünsche Ihnen einen guten Tag. https://www.kirche-im-swr.de/?m=2142
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