SWR2 Wort zum Tag

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„Eigentlich bin ich ganz anders, nur komme ich so selten dazu“, heißt es bei Ödon von Horvath. Für viele Kinder und auch nicht wenige Erwachsene bietet die Fasnets- oder Karnevalszeit, die heute in ihre heiße Phase geht, die Chance, mal ganz anders zu sein: Eigentlich bin ich heldenmütig wie ein Ritter oder witzig wie ein Clown – auch wenn ich selten dazu komme.

„Eigentlich bin ich ganz anders, nur komme ich so selten dazu.“ – Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber auch im Alltag spricht mir dieser Satz von Horvath oft aus der Seele: „Eigentlich bin ich ganz anders…“ Eigentlich – bin ich gerne mit Kindern zusammen, auch wenn die mal wild sind. Eigentlich finde ich es normal, wenn jemand Fehler macht oder was vergisst. – Und dann schimpfe ich doch rum, wenn die Kinder zu laut sind. Oder ärgere mich schnell über kleine Versäumnisse von mir oder von anderen.

„Eigentlich bin ich ganz anders, nur komme ich so selten dazu.“ Für mich ist das eine ganz gute Umschreibung davon, was in der Bibel mit dem schwer verständlichen Begriff „Sünde“ gemeint ist. „Sünde“ meint der Bibel ja nicht einfach eine Tat – nicht einen Fehler, den ich mache, oder etwas Verbotenes, das ich tue. „Sünde“ ist eher die Macht, die mich dazu bringt, das zu tun – im Zweifelsfall obwohl ich es besser weiß und eigentlich auch lieber anders machen würde. „Wollen kann ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht“, so beschreibt der Apostel Paulus seine Erfahrung dieser Macht. Und weiter: „Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, tue ich.“ (Römer 7,18f).

Das heißt aber auch: Gegen das, was Paulus „Sünde“ nennt, nützt der Vorsatz, sich gut zu verhalten, gar nichts. Das ist genauso wenig hilfreich, wie wenn ich mir vornehme, doch mal ganz „ich selbst“ zu sein. 

Paulus hat für sich die Erfahrung gemacht, dass er da selbst ganz machtlos ist. Was ihm dagegen geholfen hat, war, diesen Eifer, sich selbst zu optimieren, sein zu lassen. Stattdessen hat er etwas anderes auf sich wirken lassen. Jemand anderen. Für Paulus ist das Gott. Und das Vertrauen, dass Gott den eigentlichen Paulus mitten in allem un-eigentlichen Verhalten erkennt – und für liebenswert hält. 

Ich kann diese Erfahrung von Paulus gut nachvollziehen. Am ehesten bin ich ja tatsächlich dann ich selbst, wenn ich nicht versuche, besonders gut oder authentisch zu leben. Am ehesten bin ich so, wie ich eigentlich bin, wenn ich mich selbst nicht zu wichtig nehme – aber trotzdem spüre, dass ich da sein darf. Ich meine, es ist das, was Paulus „Freiheit“ nennt – für ihn das Gegenteil von „Sünde“. 

Wenn ich so frei bin, kann ich auch die anderen leben lassen – und den Kinderlärm und die kleine Schlamperei mit Gelassenheit nehmen. Und im besten Falle zeigt sich dann sogar ein klein wenig von Heldenmut und Witz – auch ganz ohne Ritterrüstung oder Pappnase. Eigentlich bin ich so – und  manchmal komme ich sogar dazu!

 
https://www.kirche-im-swr.de/?m=21401
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