SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Ich komme vom Einkaufen nach Hause und da steht er in meinem Flur: Ein Einbrecher. Er sieht mich, ich sehe ihn. Er rennt los und ich – hinterher. Ich brülle:Wie kannst du nur? Ich merk mir dein Gesicht! Leider erwische ich ihn nicht, denn er biegt um eine Hausecke und ist weg.

Die Polizisten, die später kommen, sind alle sehr nett, finden den Mann aber leider auch nicht. Einer fragt, ob ich eine Opferberatung möchte, um den Vorfall zu verarbeiten. Toll, dass es sowas gibt, denke ich mir. Damit kann vielen Menschen geholfen werden, bei denen es nicht so glimpflich ablief wie bei mir. Ich lehne die Opferberatung aber dankend ab. Ich will mich von diesem dreisten Einbrecher einfach nicht zum Opfer machen lassen. Das wäre für mich, als ob ich ihm dann seinen Einbruch in mein Leben als  Erfolg zugestehen würde. Es gibt einen Spruch, den ich immer schon gut fand: Täter suchen Opfer, keine Gegner. Dass ich dem Einbrecher hinterhergerannt bin, war eine Kurzschlussreaktion, unüberlegt und auch gar nicht so ungefährlich. Trotzdem emotional gesehen war sie für michgut. Weil ich eben dadurch nicht in die Opferrolle gezwungen war, sondern mich in gewisser Weise wehren konnte. Und dadurch für den Einbrecher zum Gegner geworden bin. Musste mich nicht so schwach und ausgeliefert fühlen wie in anderen Fällen, wenn Menschen nachhause kommen und alles ist durchwühlt und geklaut. (Oder wenn die Täter mehrere oder viel stärker sind. Da steht man der Situation einfach hilflos gegenüber. Und das ist dann richtig schlimm.

Obwohl es bei mir noch relativ gut lief kamen sie trotzdem: Ängste, Alpträume, Überempfindlichkeiten. Auch der Gedankeob es wirklichso schlau war, ihm nachzuschreien, dass ich mir sein Gesicht merke. Aber es normalisiert sich mit der Zeit. Und immer wenn sich doch wieder dieses flaue Gefühl anschleicht setz ich ihm Entschlossenheit entgegen. Und die Hoffnung darauf, dass er irgendwann darüber nachdenkt, was er getan hat.

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