Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Hand aufs Herz: Sind Sie ein guter Mensch? Ich könnte das für mich nicht mit einem klaren „Ja“ beantworten. Denn genaugenommen gibt es keinen einzigen Tag, an dem ich wirklich nur gut bin: Nur Gutes tue, nur Gutes und Wahres sage - und was das Schwerste ist - nur Gutes denke. Und selbst wenn ich noch so sehr wollte, es würde mir nicht gelingen. Aber zum Glück stehe ich damit nicht alleine da: Nicht einmal dem Mönch und Reformator Martin Luther ist das gelungen. - Und der hat nun wirklich verzweifelt versucht, ein guter Mensch zu sein. Denn er wollte unbedingt einen gnädigen Gott. Und er dachte, das muss man sich verdienen. Wie bei einem super strengen Vater, der jede noch so kleine Unzulänglichkeit sieht und bestraft. Aber so sehr sich Luther auch abmühte, immer kam er an seine Grenzen. Das hat ihn fast um den Verstand gebracht. Bis ihm aufgegangen ist: Das geht ja überhaupt nicht! Kein Mensch kann aus sich selbst heraus gut und gerecht sein. Unsere Unzulänglichkeiten sind ein Teil von uns. Die überwinden wir nicht aus eigener Kraft. Aber das müssen wir auch gar nicht. Denn Gott sieht uns schon immer mit gnädigen Augen an - das hat Martin Luther irgendwann erkannt. Gott liebt uns so wie wir unsere Kinder lieben, auch wenn sie nicht perfekt sind. Und diese Liebe hält was aus; sie ist sogar stärker, als unsere Schattenseiten. Und deshalb: Wir können das ruhig bleiben lassen, mit unseren Bemühungen, gut dazustehen; und uns in ein gutes Licht zu rücken. Weil wir so oder so schon angenommen sind. Wir sind Gottgewollt. Und das ist das wirklich Gute an uns. Aber was ist mit den dunklen Anteilen – die verschwinden dadurch doch nicht so mir nichts dir nichts? „Simul justus et pecator“ - Gerechte und Sünder zugleich - so hat Luther das ausgedrückt. Kein Mensch ist nur gut oder nur böse. Wir sind immer beides: gut und schlecht. -Schlecht, weil es irgendwie in uns ist, egozentrisch zu sein - und in erster Linie auf das eigene Wohlergehen bedacht. -Gut, weil wir geliebt sind. Und es deshalb auch schaffen, über uns selbst und unseren Egoismus hinauszuwachsen. Und auch im anderen, sogar im ganz Fremden, einen gottgewollten Menschen zu sehen.

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