SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Bin ich wirklich ein Christ? Wenn mich das jemand fragt, kommt die Antwort nicht so einfach über meine Lippen. Ich würde gerne einfach „ja“ sagen, aber ich finde es einen sehr hohen Anspruch, mich einen Christen zu nennen. Denn Christsein bedeutet ja, ein Jünger Jesu zu sein. Das ist mir zur Zeit besonders klar, wo in der Politik viel über christliche Werte in Deutschland und in unserer Kultur diskutiert wird. Vieles wird da als christlich bezeichnet, aber ich frage mich, ob es das schon ist. Zum Beispiel der Anspruch, dass man Menschen in Not hilft und freundlich mit allen Menschen umgeht; das kommt bei uns aus dem Christentum. Aber wenn ich das schaffe, bin ich noch lange kein Jünger Jesu.

Ich will einen sicheren Beruf haben, eine heile Familie und ich will in einem sicheren Land leben. Mit Jesus auf dem Weg zu sein, in seiner Nachfolge - das ist aber etwas ganz Anderes.

Jesus macht das klar, als seine Apostel sich bei einem Festessen um den Ehrenplatz an seiner Seite streiten. Er fragt sie: Könnt Ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde? (Mt 20,28). Das heißt: wenn ich sein Jünger sein will, muss ich bereit sein, sein Schicksal auf mich zu nehmen und mich ganz dem Willen Gottes zu unterwerfen. Selbst wenn es mein Leben kostet. Ich weiß nicht, ob ich schon so weit bin.

Oder als einmal ein reicher junger Mann zu ihm kommt, und ihn fragt, was er tun soll, um sein Jünger zu sein. Jesus sagt, er muss alles verkaufen und den Armen geben, und ihm nachfolgen. Alles verkaufen und den Armen geben? Klar, 'ne Spende ist mal drin, aber alles? Das kann ich nicht.

Das schöne bürgerliche Leben, das ich haben will, passt nicht so recht zum dem, was Jesus verlangt. Ich kenne noch keine Lösung aus diesem Dilemma. Es gibt Dinge, die kann ich anscheinend nicht halb machen. Wenn ich jemanden wirklich liebe, dann will ich das Allerbeste für den Menschen, den ich liebe. Selbst wenn ich dabei bei mir Abstriche machen muss. Grundsätzlich. Aber im Leben ist es dann doch auch so, dass ich das nicht perfekt kann. Trotzdem glaube ich, dass meine Liebe echt ist.

Ich kann nicht ein bisschen Christ sein oder ein bisschen lieben. Deshalb bin ich etwas zurückhaltend, wenn es darum geht, etwas als christlich zu bezeichnen. Auch in der politischen Diskussion.

Was mich dabei ein bisschen tröstet, ist, dass ich noch nicht fertig bin. Und ich muss es auch nicht sein. Das verlangt Jesus gar nicht von mir. Christsein ist ein Weg. Und bei diesem Weg ist es nicht entscheidend, ob ich am Ende das Ziel erreiche. Es zählt, wenn ich immer wieder in die Nähe des Ziels komme. Und was mich dazu ermutigt, ist das, was Jesus zu dem reichen Jüngling sagt: Bei Gott ist alles möglich. Vielleicht auch, dass er mein halbherziges Christsein aufwertet und mich liebevoll ansieht so wie ich bin.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21340
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