SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Ich mag den Bodensee. Zu jeder Jahreszeit. Auch wenn ich nicht dort bin, denke ich oft an ihn. Die Natur am Bodensee gibt mir Kraft. Da genügt schon, dass ich mich an das wunderbare Panorama erinnere. Der Blick über den See hat für mich etwas Tröstliches. Seltsamerweise sogar, wenn ich über das Leben und den Tod nachdenke. Mir ist aufgefallen, dass ich in meiner Phantasie immer am gleichen Ort stehe: auf der deutschen Uferseite zwischen Meersburg und Überlingen. Von einer Anhöhe aus sehe ich dann Pappeln am deutschen Ufer, den See mit der Fähre und im Hintergrund die Alpen. Ich genieße diesen Blick ans andere Ufer hinüber, weil die Welt dort drüben so schön und abwechslungsreich wirkt.

Manchmal fahre ich tatsächlich auf die andere Seite. Drüben angekommen, erlebe ich im ersten Moment meistens eine kleine Enttäuschung. Denn der Blick zurück ans deutsche Ufer ist für mich lange nicht so interessant wie umgekehrt. Auf der deutschen Seite flacht sich die Landschaft ab und da sind halt keine Alpen zu sehen, nur weites Land. Aber diese Verwunderung, dass es da nur flach ist, hat mich auf einen Gedanken gebracht. Ich kann die Fahrt über den See mit dem Sterben vergleichen, mit dem, was beim Tod passiert. Der Wechsel ans andere Seeufer wie der Übergang vom Leben in den Tod.

Ich hoffe nämlich, dass es mir da vielleicht ähnlich geht wie bei den Fahrten mit der Fähre über den Bodensee. Im Diesseits, also in meinem jetzigen Leben, kann ich mir nur ausmalen, wie es drüben wohl ist, aber wenn ich ein Bild im Kopf habe, das mir Hoffnung macht, gibt mir das Kraft. Zum Beispiel, wenn ich mir vorstelle, dass ich nach dem Tod drüben im andern Leben die Menschen wiedersehe, die schon vorausgegangen sind. Ich stelle mir das manchmal als Fest vor, bei dem wir alle an einem Tisch sitzen. Und Gott ist mit dabei am Tisch.

Vielleicht bin ich sogar ein bisschen enttäuscht, wenn ich drüben ankomme, weil es anders ist als ich dachte und weil von drüben alles anders aussieht. Wie eben mein Leben auch - im Rückblick: Manches, was ich gemacht habe, wird mir vermutlich leid tun. Dann hoffe ich, dass ich das Schlechte zurücklassen kann und auf der schöneren Seite bin. Wie jeder habe ich auch Zweifel oder fürchte mich vor dem Tod. Trotzdem kenne ich keinen vernünftigen Grund, warum ich mir den Tod nicht genauso gut als etwas Gutes vorstellen kann. Im Gegenteil: Es gibt mir eher Kraft im Leben hier und jetzt. Und die Aussicht, dass das Leben nach dem Tod noch besser sein könnte als alles Gute, was ich hier erlebe, tröstet mich: zum Beispiel, wenn ich das Gefühl habe, dass ich hier was verpasse. Und bis es so weit ist, genieße ich das Leben im Hier und Jetzt und pflege den Panoramablick auf die andere Seite.

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