Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Jedes Leben braucht einen Anker, steht auf einem Kalenderblatt. Sofort denke ich an den riesigen Anker, den ich als Kind einmal auf einem Schiff bestaunt habe. Er war an einer ebenso riesigen Kette befestigt. Wir Kinder konnten zusammen noch nicht einmal eins der Kettenglieder bewegen, so schwer waren die Teile. Das war wohl auch notwendig: Um ein großes Schiff festzuhalten, muss der Anker auch sehr groß und schwer sein, weil sonst die Wellen mit dem Schiff machen würden, was sie wollen.
Jedes Leben braucht einen Anker. Das ist richtig. Und wichtig. Weil die Wellen des Lebens heftig zerren und reißen können. Manchmal sind uns die Anker in unserem Leben gar nicht bewusst. Wir leben einfach und denken nicht weiter darüber nach. Aber sobald Probleme kommen, werden Anker besonders wichtig. Wenn jemand in einer Krise ist oder Kummer hat, frage ich deshalb immer danach. Dann wird es besonders wichtig, Halt zu haben. „Ich glaube an Gott, das hält mich“, sagen sehr viele. Sie fühlen sich von Gott getragen und getröstet. Menschen erzählen mir, dass sie beten und dadurch neuen Mut finden. Anderen hilft Musik oder Kunst, sich zu verankern. Oder Bücher. Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki beschreibt in seiner Biographie, wie er sich mit seiner Frau monatelang vor den Nazis verstecken musste. Sie haben gehungert und gefroren und trotzdem überlebt, weil sie sich Geschichten erzählt haben. Romane und Schauspiele und Opern – lauter Geschichten von Menschen, die Gefahren und Prüfungen bestehen müssen. Das half den beiden einsamen Menschen, ihre Angst auszuhalten und die Gefahr zu überleben.
Es gibt noch andere Anker im Leben. Meditieren zum Beispiel. Freunde treffen. Das gemeinsame Abendessen in der Familie. Der Gottesdienst Sonntag morgens. Eine Viertelstunde mit einer Tasse Kaffee in der Hand. Immer geht es darum, sich zu sammeln. Die eigenen Kräfte zu spüren. Sich verbunden fühlen mit allem Lebendigen.
Jedes Leben braucht einen Anker. Oder mehrere. Für mich als Christin ist Gott ein Anker geworden. Und meine Familie. Die ist sehr wichtig. Und Zeiten der Stille, in denen ich ganz alleine bin mit mir und Gott und mit meinen Gedanken.
Welche Anker haben Sie?


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