SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Mir gehen die Bilder von Paris einfach nicht aus dem Kopf. Zwei Monate ist das jetzt schon her. Viele Menschen haben damals ihr Leben verloren. Manche der Gesichter sind bald darauf in den Medien aufgetaucht. Unter ihnen viele junge Leute, die an jenem Freitag Abend zum Feiern unterwegs waren. Wie unheimlich! Da ist ein junges Paar, sichtlich verliebt. Von den beiden zu wissen, dass sie tot sind, das kann ich mir gar nicht vorstellen. Ich frage mich: Wie muss das erst für die sein, die sie kennen?

Unter den Opfern, über die gesprochen wird, ist noch eine andere junge Frau. Sie hat einen 17 Monate alten Sohn. Und einen Mann. Der wendet sich wenige Tage nach dem Attentat in einer Art von offenem Brief an die Mörder seiner Frau. Ich lese den Text immer wieder, weil er mir Kraft gibt und Mut macht; auch für das, was womöglich in diesem Jahr auf uns zukommen wird. Was er schreibt, hat sich inzwischen ganz fest in mein Gedächtnis eingebrannt:

Freitagabend habt ihr das Leben eines außerordentlichen Wesens geraubt, das der Liebe meines Lebens, der Mutter meines Kindes, aber ihr bekommt meinen Hass nicht. (...) Wenn dieserGott, für den ihr blind tötet, uns nach seinem Bild geschaffen hat, dann muss jede Kugel, die meine Frau getroffen hat, eine Wunde in sein Herz gerissen haben. Nein, ich werde euch nicht das Geschenk machen, euch zu hassen. Auch wenn ihr euch sehr darum bemüht habt. Auf den Hass mit Wut zu antworten, würde bedeuten, derselben Ignoranz nachzugeben, die euch zu dem gemacht hat, was ihr seid. Ihr wollt, dass ich Angst habe, dass ich meine Mitbürger mit misstrauischem Blick betrachte, dass ich meine Freiheit der Sicherheit opfere. Vergesst es!. (...)

Wir sind zwei, mein Sohn und ich, aber wir sind stärker als alle Armeen dieser Erde. (…) Er ist gerade mal 17 Monate alt; er wird seinen Brei essen wie jeden Tag, dann werden wir gemeinsam spielen wie jeden Tag und sein ganzes Leben wird dieser kleine Junge euch beleidigen, indem er glücklich und frei ist. Denn nein, auch seinen Hass werdet ihr nicht bekommen.

Wie der junge Vater das macht und was er sagt, bewegt mich tief. Da steckt so viel Kraft drin und Gefühl. Und in allem der unbändige Wunsch, sich auf keinen Fall unterkriegen zu lassen. Denn dieser Mann steht für etwas. Für das, was so oft in trockenen Worten als unser kulturelles Erbe bezeichnet wird. Für menschliche Größe und die Kraft der Gedanken, nicht der Waffen. In diesem Mann ist das lebendig!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21219
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