SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Im Zug ereignen sich manchmal besondere Begegnungen. Solche, die sonst kaum passieren. Zum einen hat das damit zu tun, dass man sich hier nicht mehr ausweichen kann. Wer erst mal mit mir im gleichen Abteil sitzt, ist für die nächste Zeit mein Gegenüber. Andererseits weiß ich aber auch: Wir sitzen nur zufällig hier beieinander. Wenn ich aussteige, ist alles vorbei.

Hin und wieder kommt es in dann einem Zugabteil vor, dass einemjemand aus seinem Leben erzählt, persönliche Dinge, Privates. Wahrscheinlich, weil es so viel zu erzählen gibt, weil das Herz oder der Kopf so voll sind von Worten und Gedanken, und weil es gut tut, jemanden zu haben, der einem zuhört. Wenn es für beide Seiten passt, tut es gut, sich Anteil zu geben an dem, was gerade in einem vorgeht.

So wie neulich, als ich mit dem ICE nach Mannheim unterwegs war. Das dauert von Stuttgart nur ein bisschen mehr als eine halbe Stunde. Aber in der kurzen Zeit haben die anderen Reisenden im Abteil und ich uns viel erzählt. So viel, dass ich immer noch staune, was da alles gesagt worden ist. Eine Frau erzählt, dass sie auf dem Weg zu einer Beerdigung ist. Ihre Freundin ist an Krebs gestorben. Ich spüre, wie sehr sie das beschäftigt, dass es keine leichte Reise für sie ist. Dann erzählt sie noch von ihren erwachsenen Kindern und was die aktuell so machen. Ich sage, dass ich Pfarrer bin und ohne eigene Kinder, aber trotzdem viel mit jungen Menschen zu tun habe: in der Schule, in den Gemeinden, und auch beim Radio. Die Frau bittet mich, davon mehr zu erzählen, wie das ist und was ich mache, als Pfarrer. Und ich erzähle gern mehr davon.

So ergibt ein Wort das andere. Die Zeit vergeht wie im Flug. Ich merke, wie sehr mich das berührt, dass wildfremde Menschen ein so vertrauliches Gespräch führen können. Und ich erinnere mich an andere Situationen, wo es enorm schwierig gewesen ist, überhaupt ein vernünftiges Wort mit meinem Gegenüber zu wechseln. Geschweige denn, sich dem anderen für Privates zu öffnen.

Da, auf der Zugreise nach Mannheim, war es ganz anders. In kurzer Zeit haben wir Vertrauen zueinander entwickelt. Wir haben nicht zu viel vom anderen erwartet. Wir wollten nichts voneinander. Das hat uns frei gemacht. Und auf einmal war da in dem kleinen Abteil ganz viel Nähe. Gerne würde ich diese Umstände auf andere Situationen übertragen. Aber ich weiß: Das geht nicht. So nehme ich, was passiert ist, als Geschenk. Und ich hoffe, dass es wieder mal geschieht.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21218
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