SWR1 Begegnungen

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„Man muss gut zuhören können!“

Stefan Kappner lässt sich von Menschen ihr Leben erzählen, und
dann macht er daraus ein Buch. Er ist ein Biographiker sozusagen. Und er kann gut zuhören – das merke ich schnell, als ich ihn in
Idstein im Taunus besuche.  Stefan Kappner findet es spannend,
das Leben anderer Menschen kennenzulernen.

Die Meisten kennen ja die Geschichten, sind Experten für ihr Leben. Aber sie wissen nicht, wie man ein Buch daraus macht. Ich bin der Experte für das Buch, ich gebe dem Struktur, erfinde die
Überschriften, rede über den Titel, rede drüber, wie viele Bilder rein kommen  - und solche Dinge.

Menschen möchten, dass etwas von ihrem Leben bleibt – deshalb wollen sie, dass aus ihrem Leben ein Buch wird. Selbst zu schreiben ist entweder zu anstrengend oder einfach nicht möglich. Stefan Kappner hat schon viele Autobiographien für andere geschrieben. 

Immer kommt der Einstieg ins Erwachsenenleben, also wie bin erwachsenen geworden, das gehört zu einer persönlichen Beziehung dazu. Für viele ist es die erste Liebe, die Heirat und das Gründen einer Familie das Wichtigste. Für andere ist das Wichtigste der Beruf, also wie habe ich meinen Weg gefunden, meine Aufgabe im Leben, wenn es denn so war. Diejenigen, die krank waren oder besondere Schicksalsschläge hatten, die Verarbeiten diese Schicksalsschläge im Erzählen.

Schweres zu verarbeiten im Erzählen, also im Reden mit anderen – das leuchtet mir ein. Stefan Kappner hilft auch Menschen, eigene autobiographische Texte zu ordnen. Er weiß, Menschen verarbeiten Dinge nicht nur im Erzählen, sondern auch im Schreiben.

Das Schreiben ist ja was Aktives, wenn einem was passiert, was schlimm ist, oder wenn jemand etwas angetan wurde, was man verarbeiten muss, dann ist immer gut, aktiv werden zu können. Im Schreiben wird man aktiv, man gestaltet die Geschichte selbst und man begegnet sich dann auf dem Papier als Subjekt, als jemand der was tut. Das befreit. Passiv zu sein, leidend zu sein, wenn man in der Erinnerung bleibt und die Gedanken kreisen lässt, dann vervielfältig sich das Leid. Wenn man was hinschreibt, dann kann man damit auch in gewisser Weise fertig werden.

Das Schreiben und das Erzählen haben therapeutische Wirkung. Menschen erzählen Geschichten, erzählen ihre Geschichte. Warum eigentlich?

Geschichten sind die Art, wie Menschen sich mitteilen. Also, sie teilen etwas von ihrem Leben und geben es anderen, um ne Gemeinschaft herzustellen, um zusammen zu sein, um ihre eigene Perspektive verständlich zu machen den anderen. Ich glaube, dass die uns ganz stark umtreibt, dass wir verstanden werden wollen, warum handeln wir? Warum machen wir das? Was sind unsere Lieblingsgeschichten? Und dann kommt ganz langsam das dazu, was einem im Leben passiert, und das will man teilen mit seinen Mitmenschen.

Wie seine Lieblingsgeschichte in der Bibel lautet, und warum Stefan Kappner in seinem Beruf des Biographikers mitunter zum Seelsorger wird, dazu mehr nach der Musik.

„Zuhören ist seelsorgliche Arbeit“

Der 47-jährige studierte Philosoph Stefan Kappner ist Biographiker, er lässt sich von Menschen ihre Lebensgeschichte erzählen, und dann macht er daraus ein Buch. Er ist selbstständig, kann von seiner Arbeit leben. Zum Angestellten tauge er nicht, sagt er mir, als ich ihn in Idstein im Taunus besuche. Natürlich frage ich ihn nach der Bibel und den Geschichten in der Heiligen Schrift. Warum erzählt auch die Bibel Geschichten?

Weil es darum geht, Erfahrungen weiterzugeben, in dem Fall Erfahrungen mit Gott. Ganz bestimmte Erfahrungen, die verständlich sind für andere und die verständlich gemacht werden sollen.

Erfahrungen, die Menschen mit Gott gemacht haben – die Bibel ist prall gefüllt mit solchen Geschichten. Stefan Kappner hat mehrere Lieblingsgeschichten in der Heiligen Schrift, eine davon handelt von einem Zöllner, einem Steuereintreiber zur Zeit Jesu.

Im Neuen Testament ist es die Zachäusgeschichte, weil ich mich da gut in der Position sehe. Man hat die Menschenmenge, die auf Jeus wartet. Man hat den Mann, der auf den Baum steigt, aus der Distanz guckt, der sich überlegt, was das mit ihm zu tun hat, und dann von Jesus angesprochen wird.

Wer einmal von Jesus angesprochen wurde, dessen Leben verändert sich. Jesus  geht auf Menschen zu, spricht mit ihnen, und er hört zu, was Menschen auf der Seele brennt. Zuhören – das ist eine der wichtigsten Aufgaben eines Autobiographikers, und Stefan Kappner wechselt dabei fast zu einem neuen Beruf.

Das Zuhören ist ne wichtige Komponente. Menschen erzählen nur, wenn ihnen auch richtig zugehört wird. Wenn man die Zeit dafür hat, wenn man auch das Interesse aufbringt und nicht schnell mit Fragen dazwischen funkt. Wenn jemand da ist, der zuhört, das hat schon seelsorgliche Wirkung.

Und der Seelsorger in Stefan Kappner lässt ihn auch mal nein sagen, wenn Menschen auf ihn zukommen, um mit ihm ein Buch zu machen.

Wenn bestimmte Dinge noch nicht bewältigt sind, Dann ist nicht gut, schnell ein Buch zu machen. Dann muss der Prozess lange dauern. Dann sage ich nein. Da kümmert sich besser ein Therapeut drum (oder sie schreiben selber).

Stefan Kappner ist in der Pfalz groß geworden. Er hat 3 Töchter, schreibt die Lebensgeschichten von Menschen auf. Ca. 50 Bücher hat er schon geschrieben. Will er auch mal sein Leben in einem Buch unterbringen?

Aber da muss ich erst das richtige Alter dafür haben. Das richtige Alter zum Erzählen der Lebensgeschichte, denke ich, ist so zwischen 75 und 80, zum Selberschreiben. Wenn man’s erzählt, dann kann man auch ein bisschen länger warten.

Jedes Leben ist so wichtig, dass es erzählt werden kann. Weil es Höhen und Tiefen hat. Weil es spannend sein kann für Leser. Stefan Kappner wird so über seine Arbeit als Biographiker zum Menschenkenner. Weil er zuhören kann. Weil er an Menschen interessiert ist.  Weil er Menschen mag.

 Foto: "farbeffekte.com"

(Literaturhinweis: Sefan Kappner, Biografiearbeit mit Senioren und Demenzkranken, Praxismaterial mit Tipps, Anleitungen und Kopiervorlagen, Verlag an der Ruhr, Mühlheim an der Ruhr 2015, 24,95 €)

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21216
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