SWR2 Wort zum Sonntag

SWR2 Wort zum Sonntag

Tor! 2: 2 zwischen Deutschland und Ungarn. Helmut Rahn hat für Deutschland ausgeglichen. Im Berner Stadion geht es am 4. Juli 1954 um die Fußballweltmeisterschaft. Für Deutschland geht es um mehr. Es geht um das Wunder von Bern, so heißt der Film von Sönke Wortmann. Das Wunder, dass dieses schuldbeladene, verunsicherte und beschämte Volk, das den Glauben an sich verloren hat, wieder Selbstvertrauen gewinnt.
Der Star der deutschen Mannschaft ist Helmut Rahn. Aber Rahn ist launisch und undiszipliniert. Ein junger Mann ohne inneren Halt. Ein typisches Kriegskind. Aber da gib es zum Glück noch Mathis, seinen kleinen Freund. Er bewundert Helmut Rahn wie einen großen Bruder. Er sorgt dafür, dass er zum Training geht. Und das Wichtigste: Mathis glaubt an Helmut Rahn. Und deshalb sagt der große Rahn, er könne kein wichtiges Spiel gewinnen, wenn nicht der kleine Mathis im Stadion ist.
Am Tag des Endspiels schafft es Mathis erst in den letzen Minuten ins Berner Stadion. Mathis schleicht sich an den Kontrollen vorbei und steht plötzlich am Spielfeld. In diesem Augenblick rollt der Ball ins Aus, direkt auf ihn zu. Einwurf für Deutschland. Mathis hebt den Ball. Sein Blick sucht Helmut Rahn und Helmut Rahn sieht den Jungen. Für diesen einen Augenblick stehen die beiden da und sehen einander an. „Ich glaub an Dich“, sagt der Blick des Jungen. Dann wirft er Rahn den Ball zu. Rahn macht den Einwurf, bekommt den Ball, dribbelt durch die gegnerische Hälfte, zieht ab und der Ball landet im ungarischen Tor. 3:2. Deutschland ist Weltmeister.

Zu schön um wahr zu sein? Blicke können Menschen beflügeln. Der Blick der Mutter, der mich bei meiner Geburt anstrahlte. Ich kann ich nicht daran erinnern, aber ich lebe von diesem Blick bis heute. Der Glanz in ihren Augen, der mir sagte: „Willkommen in der Welt! Schön, dass Du da bist, mein Sohn.“Wer ihn in seiner Kindheit nicht bekam, diesen anerkenennden Blick, der sucht danach ein Leben lang.

Blicke können aber auch töten. Sie können alles lähmen, sogar die Intelligenz. Der Kopf ist wie blockiert. Nichts geht mehr an der Tafel vor der ganzen Klasse. Die Matheformeln sind wie weggeblasen. Spöttisch schaut mich der Lehrer an. Ich blicke zu Boden und habe nur einen Wunsch: Eine Erdspalte, um zu versinken.

So muß sich Jakob vor seinem Bruder Esau gefühlt haben, nachdem er ihn um sein Erbe betrogen hatte. Wie ein Schüler, alleine vorne an der Tafel. Der Lehrer, die Klasse, alle sehen es: Jakob hat den eigenen Bruder abgezockt. Ein Betrüger. Ein Erbschleicher. Jakob setzen – sechs.
Eigentlich ein begabter junger Mann dieser Jakob. Wie Helmut Rahn. Er hätte der Star seiner Mannschaft werden können. Aber nun steht er da, den Blick auf den Boden gesenkt und hat nur noch einen Wunsch: Nichts wie weg hier. Aber wohin soll er gehen? Wohin flieht ein Mensch, der sein Gesicht verloren hat? Zu Gott? Und was erwartet ihn da? Es kann doch Gott nicht gefallen, was Jakob seinem Bruder angetan hat. Sieht nicht auch Gott streng und ablehnend auf Jakob? Jakob setzen – sechs?
In dieser Situation träumt Jakob seinen Traum von der Himmelsleiter. Er träumt, dass der Himmel über ihm offensteht und die Engel auf der Leiter auf und niedersteigen. Und er hört Gottes Stimme. „Ich lasse mein Antlitz leuchten über dir und bin dir gnädig.“ So von Gott angesehen zu werden, mit leuchtenden Augen, das ist ein Segen. Und wo bleibt der strafende Blick Gottes? In Jakobs Traum kommt er nicht vor. Gott ist kein Lehrer, der mich vor der Klasse bloß stellt. Der Glanz in seinen Augen sagt mir: „ Schön, dass Du da bist, mein Sohn. Schön, dass es dich gibt, meine Tochter.“

Am Ende jedes evangelischen Gottesdienstes bekomme ich diese Worte zu hören: „Gott lässt leuchten sein Antlitz über Dir.“ Das ist der Segen, der mich in meinen Alltag begleitet. Dort werde ich meinem Bruder begegnen, meiner Freundin, Kollegen, Partner, meinen Kindern, Menschen im Bus oder Zug. Warum lasse nicht auch ich mein Antlitz leuchten über ihnen? So angesehen zu werden, ist doch für jeden Menschen ein Segen. Da wird jeder Mensch zum Weltmeister – selbst wenn er am Tor vorbeischießt. https://www.kirche-im-swr.de/?m=2120
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