SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Unter den Weihnachtskarten, die ich dieses Jahr bekommen habe, hat mich eine besonders ‚angesprungen‘ und bewegt. Genauer, die Worte auf ihr.
„Wird Christus tausendmal in Bethlehem geboren und nicht in dir, du bleibst noch ewiglich verloren.

Ich habe diesen Spruch schon oft gelesen. Aber so ist das: Worte brauchen den Moment, in dem sie Menschen bewegen können.
Sie stammen von dem Barockdichter und Mystiker Johannes Scheffler. Selbst hat er sich Angelus Silesius genannt: „der schlesische Engel“.
Der Satz ist ein Vers aus einem längeren Gedicht, in dem Angelus Silesius poetisch verdichtet, was geschehen muss, damit Weihnachten wahr wird. Und „wahr“ bedeutet für ihn, heute lebendig.
„Wird Christus tausendmal in Bethlehem geboren und nicht in dir, du bleibst noch ewiglich verloren.
In zwei weiteren Versen folgt er dieser Spur:
Ach könnte nur dein Herz zu einer Krippe werden, Gott würde noch einmal ein Kind auf dieser Erden.
Der Himmel senkte sich, er kommt und wird zur Erden;
wann steigt die Erd empor und wird zum Himmel werden?
Mich haben diese Worte bewegt, weil auf einmal ganz klar vor mir stand: Die Story von Gottes Geburt erzählt dauernd von Bewegungen. Inneren und äußeren. Und der Erste, der sich bewegt ist Gott. Christen sagen oft – ich auch: „Gott ist Mensch geworden.“ Aber das ist eher statisch. Viel besser finde ich zu sagen:
Gott kommt in die Welt. Er legt sich der Welt in einem Kind in die Arme. Ich kann es, also ihn, weglegen. Weil ich nichts mit Kindern anzufangen weiß oder mich nicht berühren lassen will.
Aber wenn ich es in die Arme nehme, das bewegt. Jedes Kind, sei es klein oder schon erwachsen.
Die Story von Weihnachten sieht Gott noch in einer zweiten Bewegung. Er kommt von oben. Und das ruft nach einer Reaktion: „Seht auf, erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“ Ich glaube fest, der weihnachtliche Gott mag aufrechte Menschen. Aufgerichtete und aufrichtige. Gott vermag aufzurichten, gerade wenn das Leben drückt.
Noch einmal ein Vers von Angelus Silesius:
Der Himmel senkte sich, er kommt und wird zur Erden;
wann steigt die Erd empor?
Wenn ich mich bewegen lassen und aufrichte. Besonders eindrücklich spüre ich dieses Bewegtwerden in der Weihnachtsgeschichte an Josef. Er lässt sich ordentlich bewegen durch dieses Kind.
Anfangs will er sich abwenden von seiner Verlobten, als er von ihrer Schwangerschaft erfährt. Dabei verhält Josef sich nicht fies, sondern im Rahmen bürgerlicher und rechtlicher Konvention.
Aber dann träumt er und das verändert ihn. Manchmal muss man einem Traum folgen, um die Freiheit zu gewinnen, gegen den Strom der Zeit zu schwimmen. Josef bewegt sich von da an außerhalb der Legalität:
Eigentlich wäre es an ihm gewesen, seine Verlobte als Ehebrecherin anzuzeigen. Aber sein Traum bewegt ihn zum Gegenteil. In eine neue Freiheit. Er fühlt sich verantwortlich für ein Kind und er bleibt bei Maria. Steht aufrecht zu beiden. Hält ihr den Rücken frei.
Aber sich bewegen zu lassen in eine neue Freiheit hat immer einen Preis: Das Leben wird unruhig. Josefs Landesherr Herodes erweist sich als „würdiger“ Vorläufer heutiger Diktatoren. Ob diese Story in der Bibel „historisch“ ist, ist umstritten. Aber eines haben die Ereignisse der letzten Jahre im Nahen Osten bewiesen. Wahr ist diese Geschichte allemal. Weil sie auf den Punkt bringt, was machtbesessene Diktatoren mit ihren Bürgern anstellen, wenn die ihnen die Quere kommen.
Und wieder wird Josef bewegt von einem Traum, in dem der Engel Gottes ihm befiehlt: Rette die Menschen, die Dir anvertraut sind, flüchte. Und er tut es.
„Wird Christus nicht in Dir geboren, bleibst Du verloren.“
Hat Angelus Silesius gedichtet. Ich bin kein Mystiker wie er, was er sagen will, übersetze ich so:
Wenn Gott kommt, bewegt er die Welt. Mich auch. Hin auch zu den Flüchtlingen von heute. Die Bewegtheit ist ein Zeichen, dass Gott mit mir unterwegs ist und mich braucht. Und Sie, dass wir uns aufrecht und befreit auf den Weg machen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21195
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