SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Zwischen den Jahren eine weihnachtliche Geschichte von Aljoscha, Gottes kleinem Lieblingsengel.

Drei Tage nach Weihnachten beschloss Aljoscha, einen Besuch auf der Erde zu machen. Im Himmel waren bereits einige der quirligsten Engel dabei, wieder Ordnung zu schaffen. Manche konnten einfach nicht still sitzen und mussten immer irgendetwas tun. „Wie die Menschen“, dachte Gottvater, und manchmal reute es ihn ein bisschen, dass er ihnen soviel Freiheit gegeben hatte. Der kleine Engel Aljoscha war nicht von der peniblen und ordnungssüchtigen Sorte. Vielleicht hatte es ihm deshalb damals in Bethlehem so gut gefallen. Das Stroh, die Tiere bei den Menschen und das Kind mittendrin. Da war wenigstens was los. Dauernd gab es Besuch, und alles lief ohne jede Etikette, obwohl es sich doch um den einzigen Sohn des Allmächtigen handelte. Das hatte Aljoscha gut gefallen. Gottvater, gepriesen sei sein Name, hatte ihn wohl deshalb auch ausgewählt. Gegen den lauten Protest der ganz besonders ordnungsbewussten Engel. An diese Zeit dachte Aljoscha, als er nun vor den himmlischen Aufräumarbeiten Reißaus nahm. Er kam auf die Erde und wunderte sich. Er sah, dass manche Tannenbäume schon aus den Schaufenstern verschwunden waren. Kopfschüttelnd blieb er stehen. Er sah, wie missliebige Geschenke in den Mülltonnen gelandet waren und vor dem Tierheim viele lebendige Weihnachtsgaben um Asyl bitten mussten. Da wurde Aljoscha traurig und wütend zugleich. Sie werden sich nie ändern, diese Menschen, dachte er, kaum haben sie etwas gefeiert, denken sie schon an das nächste Fest oder gehen schon wieder zur Tagesordnung über. Und was nicht mehr reinpasst, muss einfach weg. Er ging weiter und sah einige Menschen, die noch trauriger waren als vor Weihnachten. Wie jedes Jahr hatten sie auf Besuch gehofft oder zumindest auf eine Weihnachtskarte. Und wieder hatten sie die Tage allein verbringen müssen, hatten vergeblich ihren Briefkasten geöffnet. Ja das stimmt, sagte Aljoscha zu sich, leider, aber es stimmt auch das Gegenteil. Mit Freude sah der kleine Engel, dass es Menschen gab, die auch jetzt noch an Wohnungstüren klingelten, Leute besuchten, auch wenn sie nicht verwandt waren oder ein großes Erbe sie anlockte. Einfach so. Für sie war Weihnachten nicht auf die eigentlichen Festtage begrenzt, das ganze Jahr versuchten sie aus dem Geist der Weihnacht zu leben. So wie es ihnen möglich war. Engelhaft menschlich. So war es auch von oben gemeint dachte Aljoscha, lächelte und vergaß seinen Ärger über seine putzwütigen Kollegen und die empfindungslosen Menschen, die er beobachtet hatte. Jedenfalls ein bisschen.

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