SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Nazareth ist eine staubige, laute, ganz normale arabische Stadt. Mit einigen verwinkelt schönen Ecken. Aber im Vergleich mit anderen Städten der Region nichts besonderes. Keine Spur einer Idylle, keine Fortsetzung der Krippenromantik von Weihnachten. Kaum vorstellbar, das hier der kleine Jesus gespielt hat, dass Maria ihn laut zum Essen rufen musste. Für die vertrauten Porträts einer Heiligen Familie gibt die Stadt nicht viel her. Aber gerade das Unauffällige, das Triviale, das Alltägliche bringt mir das heutige Nazareth dem von damals näher. Gerade am Fest der Heiligen Familie, das wir gestern gefeiert haben. Seit 1920 wird es immer am ersten Sonntag nach Weihnachten begangen. Seit dem 19.Jahrhundert war die traditionelle Großfamilie langsam zerfallen. Man brauchte ein Vorbild für etwas Neues in der Gesellschaft:  die Kleinfamilie. Die „Heilige Familie“ rückte in den Vordergrund - als die mustergültige Kleinfamilie. Unzählige romantische Bilder entstehen. Aber die geben wohl kaum die Realität wieder. 

Die Bibel zeigt die Spannungen, die es auch in dieser Familie gab. Als Jesus 12 Jahre alt ist, verschwindet er bei einem Besuch in Jerusalem. Die ganze Stadt stellen die Eltern Maria und Josef auf den Kopf und finden ihn schließlich im Tempel. Als sie ihn entsetzt fragen, warum er ihnen so etwas antut, hören sie keine Entschuldigung, nicht den Funken Verständnis für Ihre Sorge. Später wollen ihn seine Verwandten einmal nach Haus zurückholen und einsperren. Weil sie ihn für verrückt halten. Sein Auftritt als Prophet ist ihnen peinlich. Er antwortet hart, so als würde er seine Familie nicht kennen: „Wer den Willen meines himmlischen Vaters erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter“ (Mt 12,50) 

Jesus und seine Familie, kein einfaches Verhältnis. Aber auch kein dramatisch krisenreiches. Eher eine fast normale Familie mit Auf und Ab, mit allen Emotionen die möglich sind. Mit Verständnis und Enttäuschung, mit Nähe und Distanz, mit Zorn und Liebe. Gut, dass so verstanden an Weihnachten die Familie ein kräftiges Ausrufezeichen bekommt. Nicht nur die musterhaft idealen sondern unsere real existierenden Familien, ohne Schönfärberei, so wie sie sie halt sind. In all Ihren Facetten. Dazu gehören für mich nicht nur die klassischen Mann-Frau-Kinder Familien. Wie viel Alleinerziehende Väter oder Mütter gibt es, die versuchen auf ihre Weise mit ihren Kindern Familie zu sein. Adoptivkinder und Stiefeltern oder Großeltern, die in die Bresche springen, sie alle bilden Facetten von Familie. Und auch das Männerpaar oder das Frauenpaar, das einem Kind Heimat bietet, versucht auf seine Weise Familie zu leben, Heimat und Schutzraum zu sein. Und auch wenn es sicher nicht leicht ist, auch in den Heimen und Kinderdörfern unserer Zeit versuchen Menschen mit viel Liebe das zu leben, was an Familie möglich ist. Gott, der in Jesus Christus Mensch geworden ist, einer von uns und der weiß, was das heißt, segne und behüte sie alle.

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21124
weiterlesen...