SWR3 Gedanken

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Die kleine Emma liebt Schuhe. Nicht ihre Schuhe. Meine Schuhe. Mit ihren Füßen Größe 21 steht sie vorzugsweise in meinen Wanderschuhen Größe 38. Sie wackelt, sie schwankt. Sie verliert das Gleichgewicht und fällt auf die kleine Kinderschnauze. Aber sie juchzt vor Vergnügen. Dem Vergnügen, in fremden Schuhen zu stehen. Schuhe, die ihr ganz und gar nicht passen.

Ich sitze daneben, freue mich an ihrer Freude und bin froh, wenn mir meine Schuhe passen. Am besten wie eine zweite Haut. In meinen Schuhen will ich nicht wackeln und schwanken. Ich will das Gleichgewicht halten und aufrecht gehen können. Und ganz bestimmt nicht auf meine Erwachsenenschnauze fallen. Denn genau das sollen gute Schuhe ja leisten. Sie sollen sozusagen Gehhilfen sein. Damit ich gut laufen kann und meine Füße geschützt sind. Damit ich sicheren Fußes durch meinen Alltag gehen kann. Deshalb kaufe ich Schuhe. Eben aus praktischen Gründen.

An der kleinen Emma lerne ich, dass Schuhe nicht nur praktische Seiten haben. Sie steigt in meine Wanderschuhe und in Papas Quadratlatschen, probiert die Badesandalen und die Plüschhausschuhe. Und hat ein Heidenvergnügen daran, sich in fremden Schuhen zu erproben. Und ich begreife etwas über das Leben.

Denn das Leben ist beides. Das Leben, das sind Schuhe, die passen. Ich brauche die Dinge, die ich auf mich zugeschnitten sind. Die mir zur zweiten Haut werden. Die mir auf ihre unverwechselbare Art helfen, den Alltag zu bewältigen. Ohne dass ich darüber nachdenke, ohne dass ich wackele und schwanke und das Gleichgewicht verliere. Ganz im Gegenteil. Das Leben sind Schuhe, auf die ich mich verlassen kann. So etwas braucht der Mensch.

Aber manchmal macht es eben einfach Spaß, sozusagen in fremde Schuhe zu steigen. Nicht für immer, aber für einen Moment auszuprobieren, ein anderer zu sein. Wie sich das anfühlt, in jemandes anderen Schuhen zu stehen. Auf großem Fuß zu leben oder zierliche Schritte ins Leben zu machen. Einfach einmal ein anderer zu sein. Und dazu reichen wirklich manchmal ein paar fremde Schuhe. Deswegen tue ich es der kleinen Emma nach und steige in Papas Quadratlatschen. Sie probiert derweilen meine Hochhackigen aus. Und wir beide juchzen vor Freude.
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