SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

In einem Museum stoße ich auf ein Portrait. Unbekannter Maler, unbekanntes Bild, unbekannte Frau. Irgendeine Prinzessin Sowieso aus dem 18. Jahrhundert. Alter Schinken, denke ich, und will weitergehen. Aber irgend etwas an diesem Bild hält mich fest. Als würden die Augen dieses Mädchens mich festhalten. Also bleibe ich stehen. Betrachte das Bild genauer.

Alles in diesem Bild ist tot. Das prächtige Gewand, die mächtige Perücke, selbst das Schoßhündchen, das unter dem Gewand hervorlugt. Auch die Prinzessin wirkt tot. Wie unter einer Maske erstarrt. Mit der dicken Schicht von Rouge und Puder in ihrem Gesicht. Starr und tot. Bis auf die Augen.

Die sind eine einzige Herausforderung. Eine Mischung aus Eigensinn, Koketterie und Lebenslust. Mit dir hatten sie es auch nicht einfach bei Hof, denke ich. Vermutlich hast du den Hof ganz schön aufgemischt, deine Eltern mehr als einmal an den Rand gebracht. Du warst keine einfache und pflegeleichte und angepaßte Prinzessin, denke ich. Trotz deiner ganzen Schminke und Aufmachung.

Man sieht es an den Augen. An der Lebenslust, die darin schillert und blitzt. Aber man sieht an diesen Augen noch mehr. Man sieht den Schatten der Verzweiflung. Einen traurigen Zug rund um die Augen. Weil eine Prinzessin, weil ein Mensch begriffen hat, dass all seine Lebenslust einen schweren Stand hat im Meer der Regeln, der Sitten und Gebräuche.

Längst ist mir die Prinzessin auf der Leinwand ans Herz gewachsen. Auch wenn sie schon lange tot ist. Und ihre Geheimnisse mit ins Grab genommen hat. Ich frage mich, wie ein anderes Bild von ihr ausgesehen hätte. Ein Bild zwanzig oder vierzig Jahre später. Ob die Lebenslust gesiegt hätte oder der Verdruß? Was hat das Leben aus diesem Menschen gemacht?

Und als ich aus dem Museum gehe, stelle ich mir diese Frage selbst. Was hat das Leben aus mir gemacht? Wo bin ich starr und trage meine Maske? Und finde ich ihn noch, den Funken der Lebenslust? Mische ich meine Umgebung auf, weil ich das richtig finde, oder passe ich mich an, weil alle anderen das richtig finden? Ich bin kein Bild in einem Museum. Ich stehe im Leben. Und wenn andere in meine Augen sehen, will ich, dass sie nur eines sehen: die Lust am Leben.
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