SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Sie hatten keinen Platz in der Herberge.
Diese Erfahrung aus der Weihnachtsgeschichte des Lukasevangeliums werden viele Menschen in den letzten Monaten gemacht haben, die aus den Krisengebieten dieser Welt geflohen sind. Viele haben nur ihr Leben gerettet, sind traumatisiert von dem Entsetzlichen, was sie erleben mussten. Alles, was ihr Leben bisher ausgemacht hat, gibt es nicht mehr.
Im Exil zu sein, heißt: fremd sein, die Sprache nicht sprechen, keine Arbeit haben, auf Andere angewiesen sein. Viele stoßen an Grenzen, erleben einerseits Willkommenskultur, andererseits Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung. Sie müssen erfahren, unerwünscht zu sein.
Auch die Weihnachtsgeschichte erzählt, dass Maria und Josef keinen Platz in der Herberge fanden, dass Jesus im Stall geboren wurde, unten, am Rand der menschlichen Gesellschaft. Aber von diesem Kind in der Krippe wird gesagt: Gott ist Mensch geworden. Mensch unter Menschen. So steht es im Johannesevangelium, in der Übersetzung von Walter Jens:
Gott aber, das Wort, Er wurde Fleisch: Mensch unter Menschen war er bei uns.
Wo würde er heute geboren? Wo geschieht Menschwerdung heute?
Solange Mitmenschen das Leben bei uns erschwert wird, begegnet mir Gott nicht im Anderen. Gott bei uns wohnen lassen, ihn Mensch werden zu lassen, heißt: dem Anderen, dem Fremden, offen und menschlich zu begegnen, ihn nicht draußen stehen zu lassen. Er braucht Schutz, Hilfe und Zuwendung. Dies wird aber in jedem Einzelfall anders aussehen: hier materielle Hilfe, dort das offene Ohr, hier Ermutigung und Trost, dort Fürsorge, Grenzsetzung oder Widerspruch. Gott im Anderen zu erkennen, kann Menschen zusammenführen, die einander fremd oder vertraut, gleich oder ungleich sind.
Die jüdisch-christliche Überlieferung ist ein einziger großer Traum, dass ganz unterschiedliche Menschen geschwisterlich zusammenleben können. An diesem Traum will ich gegen alle Schwierigkeiten festhalten, für ihn arbeiten, damit die Welt und das Leben nicht bleiben müssen, wie sie jetzt sind. In einer Strophe aus einem Weihnachtsgedicht von Dorothee Sölle heißt es:
In dieser nacht  
liefen die rosen der erde davon 
und fingen das blühen an
im schnee
Das ist ein glühendes Bild für das neue Leben, das mit der Geburt Jesu, der Menschwerdung Gottes unter den Menschen begonnen hat.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21099
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