SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Ein kleines Foto auf der Seite „Vermischtes“ zeigt, was kaum zu glauben ist: Ein ausgewachsener goldgelb und schwarz gestreifter Tiger liegt lässig dicht neben einem quicklebendigen Ziegenbock. Darunter die Nachricht: Ein sibirischer Tiger hat sich mit einem Ziegenbock angefreundet. Normalerweise gehören diese Böcke zu seiner Lieblingsspeise. Aber in diesem Falle hat der Tiger sein Futter verschmäht, den Ziegenbock als Freund erwählt und beide ziehen nun friedlich miteinander durch das Wildgehege.
Ob man diese Geschichte nun glaubt oder nicht – sie soll sich in Wladiwostock ereignet haben - die Nachricht passt in die Adventszeit. Wird doch das Reich des kommenden Messias vom Propheten Jesaja mit den Worten ausgemalt: Im messianischen Friedensreich „werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken lagern. Kühe und Bären werden zusammen weiden, dass ihre Jungen beieinander liegen, und Löwen werden Stroh fressen wie die Rinder. Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein entwöhntes Kind wird seine Hand stecken in die Höhle der Natter.“
Die messianische Prophezeiung  zeigt die große Brutalität der Natur. Es sind ja nicht nur die Menschen, die übereinander herfallen. Einer muss sich vor dem anderen hüten, das Lamm vor dem Wolf, das Kalb vor dem Löwen – und die Menschenkinder vor Nattern, Löwen, Ottern und Wölfen. Kälber und junge Löwen zusammen, das geht nicht gut. Und Löwen neben Lämmer auch nicht. So ist das in der Natur eingerichtet: Fressen und Gefressen werden. Keiner weiß, warum. Es leben nicht alle von Heu und Hafer, am wenigsten die Löwen.
Ob die Menschen auch nur deshalb zu Löwen geworden sind, weil es Löwen gab? Um der Natur etwas entgegen zusetzen, das mindestens genauso erschreckend ist wie diese? Die Menschen sind Natur, wie Lamm und Löwe, wie Wolf und Kalb.  Aber gefährlicher, denn unter ihnen sind manche Lämmer nur verkappte Löwen.
Hinter der messianischen Weissagung steckt der tiefe Wunsch, nicht mehr kämpfen zu müssen, nicht immer um sein Leben fürchten zu müssen, nicht immer auf der Flucht sein zu müssen, vielmehr Ruhe zu haben, glücklich sein zu dürfen, ohne Angst, zu tanzen, zu feiern, zu lachen. Wir dürfen uns nicht von der Hoffnungslosigkeit der Menschendinge  überwältigen lassen. Wir dürfen das Ziel nicht aus den Augen verlieren,  dass die Lämmer-Menschen eines Tages neben den Löwen-Menschen in Frieden weiden können – gerade so, wie der sibirische Tiger neben den Ziege, die hoffentlich immer noch lebt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21056
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