SWR2 Wort zum Tag

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Handys am Steuer sind verboten. Sie lenken ab, man ist nicht mehr bei Sache. Gerade so, wie wenn man mit verbundenen Augen oder mit 0,8 Promille Auto fahren würde. Ein vernünftiger Mensch macht das ja nicht. Handys und Fernsehapparate am Bett eines Sterbenden sind dagegen üblich geworden.
Ich habe erlebt, dass die Angehörigen ihre sterbenskranke Mutter immer wieder auf die Bettkante manövrierten, auf sie einredeten und sagten: „Jetzt schau doch noch mal in die Kamera!“ Ich habe erlebt, wie das kleine Kind, das nur noch wenige Stunden leben sollte, mit dem Handy gefilmt wurde. Und ich habe erlebt, wie einem Sterbenskranken auf der Intensivstation, der nicht mehr die Kraft hatte, seine Augen zu öffnen das Handy ans Ohr gehalten wurde, damit seine Tochter ihm noch einmal sagen konnte, wie sehr sie ihn liebt. Dass der Fernsehapparat läuft, während ein Patient das Zeitliche segnet und seine Angehörigen am Sterbebett sitzen – das ist nicht mehr ungewöhnlich. 
Ist das nicht völlig schräg? Geschmacklos, taktlos? Wenn ich gerade mit einer schweren Grippe im Bett liege, schon dann will ich doch nur meine Ruhe haben und mich doch nicht fotografieren oder filmen lassen Das Wörtchen Bettruhe bei schweren Krankheiten legt ja eigentlich schon nahe, dass erst recht das Fußende eines Sterbebettes nicht der ideale Standort für den Fernsehapparat ist.
Oder ist das alles doch verständlich und nur für mich schräg? Wenn Opa zuhause auf der Couch seinen Mittagsschlaf hält, läuft ja auch der Fernsehapparat. Kein Wunder, dass ihn niemand abstellt, wenn er jetzt im Sterben liegt. Totenmasken, sterbenskranken Menschen auf Gemälden, Kruzifixe – das gibt es seit Jahrhunderten. Sie wollen trösten, mahnen und vor allem erinnern. Festhalten wie der Mensch war, der nicht mehr ist. 
Es gibt wohl kaum etwas, was Menschen so zu tiefst verunsichert, wie die Begegnung mit dem Sterben und dem Tod. Das Schweigen, die Stille um ein Sterbebett sind für viele Menschen schwer erträglich. Also lassen sie den Fernsehapparat laufen. Sie gehen auf Distanz – und zücken das Handy. Sie wollen den, der von dieser Welt in eine andere geht, nicht loslassen. Er soll weiterleben – und sei es auch nur in Handybildern. Aber was würde der, der da gefilmt wird dazu sagen, wenn er noch reden könnte? Macht den Apparat aus, setzt euch hin und seid still? Schenkt mir Ruhe.
In der Bibel findet man naturgemäß keine Anweisung für den Gebrauch von Handys am Sterbebett. Nur den groben Hinweis. „Prüfet alles, und das Gute behaltet.“ Und: „Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch.“

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