SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Angesehen werden tut gut. Manchmal begrüßt mich jemand und sieht mich gar nicht richtig an. Dann habe ich das Gefühl, er meint seine Begrüßung nicht ernst. So geht es mir in diesen Tagen bei den Adventsfeiern. Da müssen manche Leute viele Menschen begrüßen. Nach dem 50. Händeschütteln haben sie anscheinend nicht mehr die Geduld, ihr Gegenüber wirklich wahrzunehmen. Da wird der Begrüßte manchmal gar nicht mehr richtig angesehen, und es werden nur noch Allerweltssätze gesagt.
Dabei tut es so gut, angesehen zu werden. In der Bibel lese ich wie Jesaja, ein Prophet aus Israel, Gott bittet, ihn anzuschauen. „Blick auf vom Himmel und schau her von deiner heiligen, herrlichen Wohnung!" Wie Jesaja fühlen sich viele Menschen davon getröstet oder ermutigt, dass sie sich vorstellen können: Gott schaut mich an. Er schaut auf mich. Ich bin nicht nur eine von vielen.
Die Bibel erzählt von Hagar. Sie ist in großer Not und erlebt, dass Gott sie behütet und auf sie achtgibt. „Du bist ein Gott, der mich sieht“, betet sie schließlich. Sie hat erlebt: Gott sieht, wie es mir geht und er sieht, wie es weitergehen soll für mich.
Angesehen werden: Ich erinnere mich, wie ich mich einmal von einem Straßenzeichner habe malen lassen. Dazu musste er mich sehr genau betrachten.
Diese intensive Art angeschaut zu werden hat mich ein wenig verlegen gemacht. Gleichzeitig hat es mir gutgetan, zu erleben: Der betrachtet mich und beachtet mich. Er schaut, wie es mir geht und was mich gezeichnet hat. Mit Gott ist es genauso, denke ich mir. Genauso schaut er nach mir: So intensiv. So persönlich. Er interessiert sich für mich. Er sieht, was mir weh tut. Und erkennt, wenn mir etwas auf der Seele liegt.
Angesehen werden, tut gut. Wenn jemand mich beim Begrüßen wirklich anschaut, dann weiß ich: Ich bin gemeint. Das schafft Vertrauen, das ermutigt mich.
Der Blickkontakt sagt: Du bist willkommen. Und ein längerer Blick sagt: Du interessierst mich.
Daran will ich denken, wenn ich Menschen begrüße: Wie gut es mir tut, angesehen zu werden von den Menschen und von Gott. Und dass ich die Menschen beim Begrüßen anschaue. Nach Möglichkeit jeden einzelnen.

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