SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Ich fände es wunderbar, wenn ich heute eine kleine Sternstunde erleben dürfte. Schließlich ist heute Epiphanias, der Tag der drei Weisen aus dem Morgenland mit ihrem Stern. Da würde es passen, wenn mir Gott heute eine kleine Sternstunde gönnen würde. Ich bin mit dem Wunsch nach einer Stunde eigentlich ganz bescheiden. Denn die drei Weisen aus dem Morgenland hatten gleich mehrere Sternstunden: Einmal, als sie den Mut hatten, sich auf den Weg zu machen, was ja damals kein ganz einfaches Unterfangen war. Dann das einzigartige Erlebnis, Jesus Christus persönlich begegnen zu dürfen. So eine Sternstunde ist wohl kaum zu überbieten. Und dann noch eine Sternstunde, als sie nicht auf die List des Königs Herodes hereinfielen und einen anderen Weg nach Hause wählten, so dass das Jesuskind geschützt wurde. Schließlich hatten noch alle diejenigen erhellende Momente, denen die drei Weisen von ihren Erlebnissen erzählten oder die im Evangelium des Matthäus von ihnen gelesen haben. Sternstunden sind nachhaltig. Sie wirken weiter.
Ich habe Menschen aus meiner Umgebung gefragt, was für sie eine Sternstunde ist und um eine spontane Antwort gebeten. Ein Mann hat mir erklärt, dass es für ihn eine Sternstunde ist, wenn ein Auftritt mit seinem Chor richtig gut gelingt. Einer Frau fiel zum Thema Sternstunde ihr Enkel ein, wenn der auf ihrem Schoß sitzt. Und eine andere Frau hat mir auf meine Frage hin strahlend erzählt, dass sie seit 36 Jahren glücklich verheiratet ist, noch keinen Tag ihrer Ehe bereut hat, jeden Tag Gott dafür dankt und ihn bittet, sie und ihre Familie zu behüten. Wir haben uns dann geeinigt, dass ihre Sternstunde eine Sternstunde mit einem ziemlich langen sechsunddreißigjährigem Schweif ist.
Interessanterweise haben alle Menschen, die ich gefragt habe, sofort angefangen zu lächeln, ja zu strahlen. Offenbar erleuchtet schon das Denken an persönliche Sternstunden einen Menschen und bringt zum Leuchten. Ich habe festgestellt, dass ich daraufhin gleich mitgelächelt habe, Lächeln ist offenbar ansteckend. Das ist eine fast zauberhafte Erfahrung, und wurden die Weisen aus dem Morgenland nicht manchmal auch als Magier bezeichnet? Eine Sternstunde zaubert neue Sternstunden hervor. Vielleicht ist es sogar so, dass Sternstunden Menschen weise machen können. Wenn ich mir klarmache, was mir im Leben schon geschenkt worden ist, werde ich dankbar - und das macht klug. Ich hetze nicht meinem Leben hinterher, sondern kann dank der Kraft der Erinnerung in der Gegenwart leben - und lächeln! Mir wird auch klar, dass Sternstunden immer Geschenke sind. Selbst der Mann, der an seinen Chor gedacht hat, kann für einen Auftritt nur üben - das Gelingen eines Konzerts hängt dann letztlich an vielen anderen Dingen, die er nicht beeinflussen kann. Ebenso ist ein Enkel ein großes Geschenk. Oder eine Lebensliebe. Weil sie Geschenke sind, darf man sich Sternstunden von Herzen wünschen, selbst wenn man solche Geschenke schon einmal bekommen hat. Auch in meinem Leben hat es Sternstunden gegeben. Trotzdem fände ich es schön, wenn Gott mich heute mit noch einer zusätzlichen Sternstunde beglücken könnte. Eigentlich wäre ich auch mit einer Sternminute zufrieden, das müsste gewiss schon reichen, um diesen Epiphaniastag ganz besonders zu vergolden. Ich werde dann auch anderen davon erzählen und sie mit mir zum Strahlen bringen.

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