SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Diese ersten Tage des neuen Jahres zählen noch zu den so genannten Rauhnächten. Viele magische Bräuche ranken sich um diese Zeit zwischen dem Weihnachtsfest und dem Epiphaniasfest am 6. Januar. Angeblich ist es auch eine Zeit, in der die Tiere im Stall sprechen können und die Zukunft voraussagen. Interessanterweise hat es aber der Sage nach tödliche Konsequenzen, wenn man die Tiere beim Wahrsagen belauscht. Möglicherweise steckt hinter der Warnung vor den weissagenden Tieren die tiefe Einsicht, dass es schrecklich wäre, die eigene Zukunft genau vorhergesagt zu wissen. Im Rückblick auf das vergangene Jahr bin ich sehr dankbar, dass ich nicht genau wusste, was auf mich zukam. Das gilt sowohl für die schönen als auch für die schrecklichen Momente dieses Jahres. Hätte ich alles genau gewusst - ich wäre wie erstarrt gewesen. In der Bibel gibt es ja die Geschichte von Lots Frau, die zur Salzsäule erstarrt, als sie zurückblickt und die schreckliche Zerstörung von Sodom und Gomorrha sieht. Manche Dinge kann man nicht unbeschadet anschauen - sowohl im Rückblick als auch im Blick auf die eigene Zukunft. Zu Zeiten des Alten Testaments war es übrigens bei Todesstrafe verboten, sich die Zukunft voraussagen zu lassen. Ich käme erst gar nicht in die Versuchung, dieses Gebot zu übertreten. Denn ich mag diese ersten Tage eines neuen Jahres nicht zuletzt deshalb, weil das Jahr erst angeknabbert ist und ich neugierig darauf sein darf, was es für mich bereithält. Ich will das Jahr anschauen wie ein Weihnachtsgeschenk, das ich ja auch erst dann auswickele, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist - und nicht heimlich vorher. Ich wüsste doch, ich würde mir sonst die ganze Freude verderben, wenn ich schon genau Bescheid wüsste. Oder die Furcht vor dem, was mich an Schrecken erwartet, würde mich schon lange im Voraus lähmen und jeden schönen Tag überdecken.
So lasse ich die Tiere im Stall in diesen Rauhnächten in Ruhe über meine Zukunft schwätzen und kümmere mich nicht darum. Allerdings werde ich eine besondere Art der Zukunftsplanung betreiben und die Zeit nutzen, um mit der Familie Urlaubspläne zu schmieden. Manche Leute finden ja, dass Urlaubstage magische Tage sind, doch die Vorfreude auf sie hat eine Magie, die keine schädlichen Auswirkungen hat. Statt Urlaub kann man auch ein Familienfest planen oder einen Ausflug mit den Enkeln. In jedem Fall gilt: Diese Vorfreude ist nicht abträglich für die Gegenwart, sondern vermag zu helfen, wenn ich einmal - auch in diesem erst frisch begonnenen Jahr - einen kleinen Durchhänger haben sollte.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21023
weiterlesen...