SWR2 Wort zum Tag

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Advent scheint nur so etwas zu sein wie das Vorprogramm zu Weihnachten: Zeit, um einzukaufen fürs große Fest. Und doch kann die Adventszeit daneben eine ganz eigene spirituelle Qualität erhalten. Davon zeugen etwa die biblischen Texte, die das Kirchenjahr den Adventssonntagen zuordnet, zum Beispiel Verse aus dem Schlussabschnitt des alttestamentlichen Prophetenbuchs Jesaja: „Niemand ruft deinen Namen an, Gott, oder macht sich auf, dass er sich an dich halte … du, Gott, hast dein Angesicht vor uns verborgen.“
Gott? Fehlanzeige! Das klingt zunächst ganz unweihnachtlich. Denn im Grunde soll „Advent“ doch die Vorbereitung auf die Gegenwart Gottes unter den Menschen sein, wie es die Weihnachtsbotschaft verkündet. Doch diese Vorbereitung beginnt eben mit dem Fehlen Gottes. Sie beginnt damit, dieses Fehlen zu empfinden.
Fehlt Gott? Ja, „er fehlt; er fehlt mir“ – so hat Martin Walser seinem ganz persönlichen Gefühl Ausdruck verliehen und damit zugleich die Gottvergessenheit unserer Tage auf den Punkt gebracht. Damit steht er der Klage Jesajas sehr nahe. Wer so spricht wie Walser heute oder wie Jesaja vor zweieinhalbtausend Jahren, hat den schmerzlich vermissten, den abwesenden Gott vor Augen, die Leerstelle, weil dort, wo man Gott vermutet oder ihn sich wünscht, vermeintlich nichts ist. „Niemand ruft deinen Namen an, Gott, oder macht sich auf, dass er sich an dich halte … du, Gott, hast dein Angesicht vor uns verborgen.“
Aber Jesaja geht in seiner Diagnose noch weiter. Ihm ist bewusst, dass das Fehlen Gottes ursächlich mit der Gottvergessenheit der Menschen zusammenhängt. Gottes Verborgenheit – eine Folge fehlender Sensibilität für Gottes Nähe und Gegenwart. Es fehlen – modern gesprochen – die Antennen für Gott. Gott ist schon da, aber seine Gegenwart braucht Aufmerksamkeit. Das ist es, was der Prophet andeutet.
Kann ich von Jesaja lernen? Ja, wenn ich mir von ihm ein Thema für meine Adventszeit vorgeben lasse. Könnte das nicht eine wertvolle Spur dieser vorweihnachtlichen Tage sein: Zeiten der Stille und des Gebets einzuräumen. Vor Gott bringen, was mich bewegt. Nach ihm fragen, nach seinen Quellen des Lebens, die in der Bibel, in seinem Wort sprudeln.
Advent als eine Zeit im Jahr, in der ich mich – neben der üblichen Betriebsamkeit – öffne für neue Begegnungen mit Gott. Das wäre eine Chance.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21010
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