SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Ohne Erinnerungen kann kein Mensch leben. Erinnerungen brauchen wir wie Nahrung, Liebe und Schlaf. Das klingt vielleicht etwas hoch gestochen, aber Erinnerungen helfen uns, das Leben hier und heute zu bewältigen. Je älter ich werde, desto öfter erinnere ich mich zurück an das, was ich früher erlebt habe und an Menschen, die ich scheinbar vergessen habe.
Diese Erinnerungen gehören nur mir, sie spiegeln mein Leben wider.

Aus heutiger Sicht sehe ich einiges in anderem Licht. Das hilft mir, mich zu versöhnen mit Zeiten, die nicht so gut für mich gelaufen sind. Oder mit einem Menschen, der mir das Leben (manchmal) schwer gemacht hat.
Eindrucksvoll beschreibt das der Schriftsteller Botho Strauss in seinem Buch „Herkunft“: Während er die elterliche Wohnung auflöst, erinnert er sich an seine Kindheit und damit an seine Eltern. Mich hat berührt, wie viel Verständnis er bei seinen Gedanken für seinen verstorbenen Vater aufbringt, zu dem er zeitlebens ein eher schwieriges Verhältnis gehabt hat. Er sieht seinen Vater jetzt mit ganz anderen Augen, eben mit seiner eigenen Lebenserfahrung. Und er hat jetzt für so manches Verständnis, das ihn als Heranwachsender an seinem Vater gestört hat. Versöhnlich und liebevoll kann er nun auf ihre gemeinsame Lebenszeit zurückblicken. ..

Meistens tut es gut, sich so intensiv erinnern zu können. An das Verhältnis zu meinen Eltern, an die Menschen, die mich im Laufe des Lebens beeinflusst haben. Über vieles nachzudenken, es zu verarbeiten oder Frieden zu schließen.
Es gibt aber auch Menschen, die haben an ihren Erinnerungen ganz schön zu kauen. Manches belastet sie.

Psychologen haben herausgefunden, dass uns unsere Erinnerungen bewusst oder unbewusst dabei beeinflussen, was wir heute tun. Und sie raten uns, uns viel mehr mit den schönen Dingen, die wir erlebt haben, zu beschäftigen.
Wenn wir beim Besuch unserer fast 90 jährigen Tante auf früher zu sprechen kommen, ihr Fragen stellen, dann setzt sie sich kerzengerade auf und ihre Augen strahlen, wenn sie erzählt. Dann vergisst sie zu klagen. Diese Momente genießt sie offensichtlich sehr. Auch wenn sie sagt, was nützen die Erinnerungen, das Aktuelle muss bewältigt werden. Ja, schon, habe ich neulich zu ihr gesagt, aber trösten sie dich nicht und bauen sie dich nicht immer wieder auf? Das hat sie zugegeben.
Für Christen steht die Erinnerung an Jesus Christus im Mittelpunkt ihres Glaubens. Seit mehr als 2000 Jahren wird sie überliefert. Und die Erinnerung daran, dass Jesus gesagt hat, dass er bei den Menschen sein wird und mit ihnen ist, wie immer ihr Leben verlaufen wird. Das lässt viele Menschen in aller Welt hoffen und gibt ihnen Zuversicht für das, was ihnen das Leben noch bringen mag.
Daran erinnere ich mich gern.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20995
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