SWR2 Wort zum Tag

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Glauben und Zweifeln gehören zusammen. Das sagt man oft so. Ich auch. Meistens ist gemeint: Wer glaubt, dass es einen Gott, sogar einen liebenden Gott gibt, der wird auch immer wieder daran zweifeln müssen.

Glauben und Zweifeln gehören zusammen. Das stimmt. Aber in letzter Zeit ist mir aufgefallen: Glauben und Zweifeln sind – zumindest im christlichen Glauben – noch in einem ganz anderen Sinne so etwas wie zwei Seiten einer Medaille.
Jesus hat das besonders deutlich gezeigt. Jesus hat, so glaube ich, viele Menschen nicht nur Vertrauen gelehrt, sondern eben auch Zweifel. Es gibt viele Geschichten, die davon erzählen. Zum Beispiel als seine Anhänger diskutiert haben, wer bei Gott am meisten gilt und ihm am nächsten ist. Da hat Jesus ein Kind zu sich gerufen, es mitten in die Diskussionsrunde gestellt und gesagt: So – wie ein Kind – müsst ihr werden, wenn ihr Gott näher kommen wollt.
So hat Jesus seine Zuhörer zum Nachdenken gebracht – und eben auch zum Zweifeln. Sie haben plötzlich an ihrem althergebrachten Gottesbild gezweifelt: Ist Gott vielleicht ganz anders, als wir ihn uns bisher gedacht haben? Wir kennen ihn als König, als starken Herrscher - aber womöglich ist er kein Herrscher wie die irdischen Machthaber, die starke Männer um sich wollen und keine kleinen Kinder.
Und mit ihrem alten Gottesbild mussten Jesu Anhänger auch ihr altes Weltbild in Frage stellen: Wenn bei Jesus ein Kind im Mittelpunkt steht, warum gelten dann in unserer Welt die Starken und Mächtigen mehr als die kleinen Schwachen?
Immer neue Bilder und Geschichten hat Jesus gefunden, um zu zeigen, wie eine andere, bessere Welt aussehen könnte. Wo die einfache Sicht der Dinge in Frage gestellt wird. Wo die Logik von Schuld und Strafe angezweifelt wird. Glaube und Zweifel gehören zusammen – das habe ich so noch einmal neu verstanden. Zweifel ist dann nichts Negatives, im Gegenteil: Glauben heißt für mich gerade, offen zu bleiben für Neues. Meine Einsichten und Ansichten immer wieder in Frage stellen zu lassen. Glauben heißt Zweifeln.
Die Adventszeit, die morgen beginnt, lädt besonders dazu ein. Ich nehme mir vor, die Adventskerzen nicht nur als heimelige Deko zu betrachten – sondern als Aufforderung, die Welt in neuem Licht zu sehen. Als Ermutigung zum Zweifeln. So wie Bertolt Brecht es sagt:
Traue nicht deinen Augen / Traue deinen Ohren nicht
Du siehst Dunkel / Vielleicht ist es Licht.

 
https://www.kirche-im-swr.de/?m=20975
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