SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Geschichten aus der Bibel haben es in sich. Auch wenn sie erst harmlos klingen. Meine Zweitklässler haben mir das letzte Woche wieder ganz deutlich gemacht. Ich habe vom „Verlorenen Sohn“ erzählt. Von dem, der von zu Hause weggeht, sein Geld verspielt und in der Gosse landet. Und der dann verzweifelt zu seinem Vater zurückkehrt. Der Vater gibt ein großes Freudenfest – sehr zum Ärger des Bruders, der brav zu Hause seine Pflicht tat. Aber der Vater macht klar: Wenn jemand zurückkehrt, ist das Grund zur Freude – egal, was zwischendurch war. 

Die Kinder haben verstanden – es geht um Schuld und Vergebung. Und dass Jesus sagt, dass wir uns Gott so vorstellen können wie diesen Vater. Als einen, der vergibt, wenn man zu ihm kommt.
Aber dann regt sich der Widerstand in der Klasse: „Und was ist mit Menschen, die ganz schlimme Sachen gemacht haben?“, fragt ein Mädchen. Die Grundschüler sind plötzlich alle hellwach. „Genau“, sagt ein Junge herausfordernd, seine Augen blitzen. „Da haben doch Leute so viele Menschen erschossen, in Paris. Was ist mit denen?“ Es wird unruhig in der Klasse: „Ja, oder die köpfen Menschen …“, ruft einer rein. Ein anderes Mädchen schaut mich mit großen Augen an und fragt ganz ernsthaft: „Wird das jetzt immer schlimmer?“
Ich muss durchatmen. Nur mit Mühe gelingt es mir, dass nicht jeder der Siebenjährigen eine andere Horrorgeschichte erzählt. Was sie alles beschäftigt in diesen Tagen! Und ich muss schlucken: Mit einem Schlag haben mir die Kinder klar gemacht, was für eine ungeheure Zumutung in der Geschichte steckt.
Sicher, die Kinder haben manches ausgeblendet: Die theologische Pointe der Geschichte schließt ja nicht aus, dass Verbrechen verfolgt oder bestraft werden. Und vor allem geht die Erzählung davon aus, dass der Sohn von selbst zum Vater zurückkehrt, seine Tat bereut – und um Verzeihung bittet. Das ist ein entscheidender Unterschied zu den Attentätern von Paris. Aber die Kinder haben doch den Knackpunkt gespürt, die Zumutung in der Botschaft von Jesus: Der Vater verzeiht. Gott verzeiht. Und es gibt bei ihm keine Obergrenze für Schuld. Eine radikale Botschaft. Und eine Perspektive, eine Hoffnung, die viel verändern kann.
Die Geschichte gibt für mich keine Antwort darauf, wie man auf den Terror reagieren kann. Aber ich sehe auch da Zeichen der Hoffnung. Menschen, die einen Weg aus der Spirale von Hass und Gewalt suchen und finden. Ich denke an Antoine Leiris, dessen Frau in Paris ermordet wurde. Er hat eine Botschaft an ihre Mörder verfasst. Er schreibt: „Den Gefallen, euch zu hassen, werde ich euch [...] nicht tun.“

 
https://www.kirche-im-swr.de/?m=20973
weiterlesen...