SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Im September habe ich in einem Flüchtlingslager in Jordanien Gaith getroffen. Der junge Mann hatte in Mossul im Nordirak Pharmazie studiert, bis er – wie hunderttausende andere Christen auch – von den Mörderbanden des Islamischen Staats vertrieben worden war. „Ich bin jetzt  21 Jahre alt, ich habe weder eine Studienmöglichkeit noch Arbeit. Keine Aussicht und keine Zukunft. Ich habe ganz einfach meine Zukunft verloren“, so hat er bei unserem Besuch im Camp gesagt. Und dann hat er eine Bitte hinzugefügt, die ich nicht mehr vergessen kann: „Helfen Sie mir, meine verlorene Zukunft wiederzufinden.“

Ich habe in einem Wort zum Tag schon einmal von ihm erzählt. Und mein Beitrag blieb nicht ohne Folgen. Der Präsident der baden-württembergischen Apothekerkammer nahm mit mir Kontakt auf und sagte mir zu, dem jungen Mann zu helfen. Das ist so schön, dass ich es nicht verschweigen kann. Noch ist die Geschichte nicht zu einem glücklichen Ende gekommen. Es wird nicht einfach sein, all die rechtlichen und organisatorischen Hürden zu bewältigen und den Weg hierher zu ebnen. Er muss ein Visum erhalten, eine Wohnung muss gefunden, der Studienplatz bereitgestellt werden. Ich bin zuversichtlich, dass wir es gemeinsam schaffen und Gaith  in Tübingen sein Studium fortsetzen kann.

Warum erzähle ich das? Es ist für mich ein Beispiel dafür, dass Menschen in unserer Gesellschaft nicht nur die anonymen Zahlen der Flüchtlinge sehen, das scheinbar kaum mehr zu lösende Problem, das sie darstellen. Sondern dass sie die Menschen sehen – jeden einzelnen mit seinem ganz persönlichen Schicksal, verwundet und verstört, darauf hoffend, dass sich irgendwie sein Leben doch noch zum Guten wendet. Sie lassen sich als Mensch in ihrem Herzen von einem anderen Menschen berühren – und helfen. Das ist wunderbar. Und es sind Gottseidank sehr, sehr viele, die so denken, fühlen und handeln.

Wie oft höre ich, solche Hilfe sei ein Tropfen auf den heißen Stein? Was bedeutet es, einem oder wenigen zu helfen, während ungezählte andere vergebens auf Hilfe warten? Das stimmt einerseits und zeigt, wie ohnmächtig wir angesichts des ungeheuren Leids sind. Und doch: Diesem einen Menschen zu helfen, bedeutet, wenigstens ihm zu helfen. Sonst wäre nicht einmal das getan. Es ist ein Beispiel dafür, dass die Menschlichkeit die Resignation durchbrechen kann. Menschlichkeit braucht konkrete Zeichen, die wahrgenommen werden – und die vielleicht auch ausstrahlen und etwas bewegen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20958
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