SWR2 Wort zum Tag

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Was macht man mit einem Erbe, das einem in Teilen gar nicht gefällt? Am einfachsten schiene, wenn man wählen könnte: Den schönen Teil des Erbes behalten und den bitteren ausschlagen. Aber so einfach kann man es sich mit dem Erben nicht machen. In einer Familie nicht, nicht mit dem kulturellen Erbe. Und auch mit dem religiösen nicht.
Ich kann nicht Deutscher sein und sagen: ‚Die Verantwortung für die Nazivergangenheit, die geht mich nichts an.‘ Man erbt auch die finsteren Seiten.
Genauso wenig kann ich als evangelischer Christ sagen: ‚Die dunklen Seiten von Martin Luther, sein Wüten gegen die Juden, gehen mich nichts an‘.
Dabei erschreckt mich tief, wie derselbe Martin Luther, den ich als Theologen, Dichter, Bibelübersetzer oft großartig finde. Wie derselbe Luther so was hat sagen können. Pauschal feindselig gegen Juden:
„Sie (Die Juden), schreibt er, sind uns eine schwere Last wie eine Plage, Pestilenz, und lauter Unglück in unserem Land.“

Und da war er kein junger Heißsporn, sondern ein reifer Mann von 60 Jahren. Und er hat die Regierungen seiner Zeit aufgefordert Maßnahmen zu ergreifen: Synagogen anzünden, Häuser zerstören, den Rabbinern verbieten zu lehren und sogar Enteignung hat er gewollt.
Was tue ich als evangelischer Christ mit diesem Erbe?
Es antreten. Aber wie? Ich kann nicht ausweichen vor der Erkenntnis, dass meine Religion auch eine dunkle Kraft werden kann. Wenn sie zur Waffe wird gegen Menschen, die einem Angst machen. Ich glaube, das war der Grund bei Luther: Er hatte vor allem in seinen letzten Lebensjahren große Angst um die Reformation und überhaupt um die Zukunft. Diese Angst befeuert seine schlimmen Ausfälle gegen die Juden. Er hat sie kollektiv zur Projektionsfläche seiner Ängste gemacht (Udo di Fabio). Und fantasiert: Wenn sie nicht mehr wären, wäre das „Unglück“ weg. Eine fatale Illusion.
Daraus ergibt sich für mich das Zweite, wie ich ihn beerben will. Ich will lernen: Man darf seine Ängste nicht umschlagen lassen in Hass und Feindschaft gegen Menschen. Auch nicht in Zeiten des Terrors. Schon gar nicht im Namen Jesu.
Der christliche Glaube – und das ist das dritte Erbstück, vielleicht das wichtigste. Religion ist keine Waffe unserer Ängste. Christlicher Glaube stärkt nicht Ängste, sondern Vertrauen: Und das kann Halt geben in Ängsten, die das Leben verunsichern. Vertrauen hilft, Ängsten zu widerstehen und sich nicht von ihnen leiten zu lassen.
„Fürchtet Euch nicht“, hat Jesus immer wieder betont. Das ist eine seiner Kernbotschaften. Dieses Erbe anzutreten, wäre auch im Sinne von Martin Luther.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20917
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