SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Im Sommer hatte ich einen ganz besonderen Fortbildungstag: Unterricht bei einem Schauspieler vom Theater in Karlsruhe. Es ging um Körpersprache: Sicher auftreten, etwas vortragen oder sogar auf einer Bühne stehen.

Auf einer Bühne vor großem Publikum zu stehen, könnte so einfach sein. Wenn bloß der eigene Kopf nicht ständig Alarm schlagen würde. Im Kopf gibt es nämlich „innere Wächter“. Diese inneren Wächter warnen mich ständig: Mach dies nicht, mach das nicht. Weil das komisch oder peinlich ist. Diese Stimmen sind manchmal hilfreich, meistens behindern sie mich aber. Ein Schauspieler kann sich davon lösen. Er kann sich von seinen inneren Wächtern frei machen.

Das würde ich auch gern können. Locker und entspannt sein – auch in schwierigen Situationen. Souverän wie ein Hollywoodstar. Doch: Wie lerne ich sowas?

Es gibt verschiedene Wege: Ich kann zum Beispiel so lange wie ein Frosch durch den Raum hüpfen, bis meine inneren Wächter erschöpft aufgeben. Das kann ich aber auch nicht immer machen. Und solche Übungen sind nicht alles. Es braucht noch etwas anderes. Es geht um sehr persönliche Fragen: Kann ich mich selbst so akzeptieren, wie ich bin? Schäme ich mich vielleicht für meine krumme Nase oder meine kurzen Beine? Es sieht halt nicht jeder aus wie Brad Pitt. Unser Schauspiellehrer hat uns geraten: Liebe deine Fehler und Macken. Sie machen dich einzigartig. Selbst schlimme Erfahrungen gehören dazu. Zum Beispiel ein Unfall oder eine Beziehungskrise. Für einen Schauspieler sind solche Erfahrungen sein Kapital. Denn sie weiten seinen Horizont und helfen ihm, sich in andere hineinzuversetzen. Vielleicht ja auch mir. Auch, wenn ich das immer erst nachher verstehe.

An diesem Tag im Theater habe ich gelernt: Will ich so locker und souverän wie ein guter Schauspieler sein, muss ich mich aus dem eigenen Gedankenkarussell befreien. Zum Beispiel indem ich mir noch einmal vorstelle, wie ein Frosch durch den Raum zu hüpfen. Denn oft tut es gut, die inneren Wächter mal in die Pause zu schicken. Dann bin ich viel gelassener - und offener für die Menschen, die ich treffe.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20871
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