SWR2 Wort zum Tag

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„Wirtschaftsflüchtlinge“ so nennt man die Migranten zweiter Klasse, die zu tausenden nach Europa, vor allem nach Deutschland einwandern wollen. Viele von ihnen kommen auf Nussschalen über das Mittelmeer und riskieren ihr Leben dafür, der beißenden Armut zu entfliehen.

Was gerne vergessen wird, ist, dass immer mehr von ihnen genauer als „Umweltflüchtlinge“ gelten müssten. Sie fliehen, weil ihre natürlichen Lebensgrundlagen immer mehr zerstört werden, wenn zum Beispiel die globale Erwärmung die Wüstenbildung vorantreibt.

Fluchtursachen bekämpfen – das Zauberwort politischer Debatten in diesen Tagen – würde aber auch heißen, die Wirtschaft in den armen Ländern uneigennützig zu fördern und nicht einfach davon auszugehen, dass die Märkte schon alles regeln werden. In seinen Schreiben „Evangelii Gaudium“ und „Laudato Si“ hat uns Papst Franziskus eindringlich darauf hingewiesen, dass der freie Handel nicht die Armut bekämpft, sondern den Egoismus befeuert.

Wenn z.B. unsere in der EU hergestellten und hoch subventionierten Nahrungsmitteln ein Massenangebot produzieren, das einheimische Märkte in Afrika zerstört, dann führt das ganz konkret zu Armut von Kleinbauern und ganz konkret dazu, dass Menschen aus dieser Armut fliehen.

Wenn skrupellose Börsianer mit Nahrungsmitteln Monopoly spielen, interessiert dies nur ein paar Zuschauer von speziellen Fernsehsendungen und ein paar Aktivisten. Erinnern wir uns daran, wenn die Opfer der steigenden Nahrungsmittelpreise als Flüchtlinge vor unseren Grenzen stehen? Ich frage mich, wann endlich die viel diskutierte Steuer auf Finanztransaktionen kommt, die die Banken- und Finanzlobby seit Jahren mit allen Mitteln versucht zu verhindern, die aber wenigstens ein Bisschen Vernunft in dieses zügellose Spiel bringen könnte. Und ich frage mich, wann die Entwicklung von besseren Lebensverhältnissen in den Entwicklungsländern endlich den Platz in unserer gesellschaftlichen Debatte bekommt, den sie schon so lange dringend verdient. Es muss eine Diskussion her um die besten Konzepte für Wirtschaftsförderung in den benachteiligten Teilen der Erde – und dies kann, so schwer es uns fallen mag, nur dadurch geschehen, dass die Industriestaaten Privilegien aufgeben. Unsere Wirtschaftsvertreter können dann nicht länger ihre bessere Position ausspielen, wenn sie verhandeln über Wirtschaftsverträge und Handelsabkommen.

Ich höre schon die Einwände: Dies läuft nun mal der menschlichen Natur entgegen, die immer den eigenen Vorteil sucht… Aber es läuft auch den christlichen Grundsätzen des Abendlands entgegen, nur auf den eigenen Gewinn zu schauen – vor allem, wenn dann die Opfer dieser Politik als „Wirtschafts-flüchtlinge“ gebrandmarkt, diffamiert und dann abgeschoben werden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20842
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